„Ko-Analgetika“ insbesondere bei neuropathischen Schmerzen

Vor allem bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen empfehlen aktuelle Leitlinien, dass vor dem Einsatz von stark wirksamen Opioiden zusätzlich zur bereits durchgeführten Analgetikatherapie trizyklische Antidepressiva bzw. ionenkanalstabilisierende Arzneimittel wie Gabapentin oder Pregabalin eingesetzt werden. Kombinationstherapien mit anderen Wirkstoffen sind nach Auffassung der Leitlinienersteller nicht evidenzbasiert in ihrer Wirksamkeit und Sicherheit belegt.

Antidepressiva

Amitriptylin zeigte in einem systematischen Review als Zusatz zu Schmerztherapien wegen diabetischer Neuropathie, postherpetischer Neuralgie, Schmerzen nach Schlaganfall und Fibromyalgie im Vergleich zu Placebo einen Benefit. Positive Wirkungen werden auch bei Schmerzen nach Rückenmarksverletzungen beschrieben, sofern sie mit einer depressiven Verstimmung assoziiert sind. Zugelassen ist Amitriptylin zur langfristigen Schmerzbehandlung im Rahmen eines therapeu-tischen Gesamtkonzeptes in einer Dosis von 75 und 100 mg täglich. Es ist Mittel der ersten Wahl zur Behandlung des neuropathischen Schmerzes.

Bei Patienten mit Lumboischialgie sowie bei Patienten mit chronischem Kreuzschmerz zeigte Amitriptylin in Kombination mit Morphium nur einen schwachen, statistisch und klinisch nicht signifikanten Vorteil im Vergleich zu Placebo.
Vor diesem Hintergrund wird der Einsatz von trizyklischen Antidepressiva beim Kreuzschmerz nicht bzw. nur als Mittel der fernen Wahl bewertet.

Antidepressiva vom SSNRI-Typ (z.B. Venlafaxin, Duloxetin) sollten bei Personen mit nicht-spezifischem Kreuzschmerz nicht regelhaft und nur bei indikationsrelevanter Komorbidität (schwere Depression, Angststörung) eingesetzt werden. Duloxetin besitzt in einer Dosierung von 30 bis maximal 120 mg pro Tag die Zulassung zur Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie. Es ist kein Mittel der ersten Wahl.
Venlafaxin, welches im Off-Label-Use bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt wird, ist – laut G-BA – in dieser Indikation nicht zulasten der GKV verordnungsfähig, da die Wirksamkeitsbelege für Venlafaxin in der sehr heterogenen Indikation „neuropathischer Schmerz“ unzureichend sind. Bei verfügbaren, zugelassenen therapeutischen Alternativen ist der Off-Label-Einsatz von Venlafaxin in dieser Indikation nicht gerechtfertigt.

Antikonvulsiva

Bei Patienten mit diabetischer Neuropathie wirkte in Studien Gabapentin ab einer Tagesdosis von 1.200 mg geringfügig besser als Placebo und ähnlich stark wie Amitriptylin. Erst ab einer Tagesdosis von mindestens 1.200 mg konnte eine Überlegenheit im Vergleich zu Placebo hinsichtlich des Kriteriums einer mindestens 30%igen Schmerzreduktion erreicht werden. Die Zieldosis muss langsam eintitriert werden.
Unerwünschte zentralnervöse Nebenwirkungen sind relativ häufig mit Schwindel (21%), Schläfrigkeit (16 %), peripheren Ödemen (8 %), Gangstörungen (9 %). Schwere unerwünschte Ereignisse waren dagegen unter Gabapentin in Studien nicht häufiger als unter Placebo. In der nationalen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz werden Antiepileptika bei nicht-spezifischem Kreuzschmerz als nicht-indiziert beurteilt.

Pregabalin ist in Tagesdosen über 150 mg (300 mg bis 600 mg) für die Therapie neuropathischer Schmerzen zugelassen. Dies gilt nicht für Generika mit dem Wirkstoff Pregabalin. Eine Zulassung für die Behandlung neuropathischer Schmerzen besitzt nur das Originalpräparat. Damit stellt die Verordnung von Pregabalin-Generika in dieser Indikation formell einen Off-Label-Use dar. Allerdings akzeptieren nahezu alle Krankenkassen in Baden-Württemberg die Verordnung von Pregabalin-Generika zur Behandlung des neuropathischen Schmerzes zu ihren Lasten und haben zugesichert diesbezüglich keine Anträge auf Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Einzelfall zu stellen. Eine Liste dieser Krankenkassen sowie ergänzende Ausführungen zu der haftungsrechtlichen Zuständigkeit finden Sie im Verordnungsforum 35 der KVBW. 

Pregabalin stellt nach den Trizyklika und Gabapentin lediglich ein Mittel der dritten Wahl dar. Diese Substanzgruppen sind gleich wirksam. Auch unter Pregabalin tritt häufig (15 bis 50 %) Schwindel und Schläfrigkeit auf, es werden kognitive und koordinative Störungen berichtet. Es besteht das Risiko eines erheblichen Abhängigkeitspotenzials sowie von Entzugserscheinungen nach dem Absetzen. Pregabalin sollte daher nur nach eingehender Untersuchung und klarer Indikationsstellung verordnet werden. Insbesondere bei Einnahme- oder Verordnungsmengen über der zugelassenen Höchstgrenze (600 mg/Tag) ist an eine Abhängigkeitsentwicklung zu denken und eine Abdosierung schnellst möglich einzuleiten.25,26 Bei Dosierungen von Pregabalin über der zugelas-senen Höchstdosis besteht auch bei generischer Verordnungsweise die Möglichkeit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall auf Antrag der Krankenkassen.

Carbamazepin zeigte im Vergleich zu Placebo in kleinen, methodisch jedoch problematischen Studien eine gute Wirksamkeit, ist jedoch aufgrund seines ausgeprägten Nebenwirkungsspektrums (Nebenwirkungsrate 66 %) nur Mittel der letzten Wahl. Eine sorgfältige Nutzen-Risikoabwägung wird empfohlen.

Myotonolytika

Der Einsatz von sogenannten myotonolytischen Koanalgetika sollte auf Einzelfälle begrenzt werden. Es findet sich lediglich eine schwache Empfehlung für den kurzfristigen Einsatz von Myotonolytika für etwa zwei Wochen beim akuten und chronischen Kreuzschmerz, wenn nicht-medikamentöse Maßnahmen oder die alleinige Gabe von nicht-opioiden Analgetika keine Besserung bewirken. Aufgrund der bekannten Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen, Sedierung, Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit, Gefahr der Abhängigkeit und der bekannten Hepatotoxizität einzelner Arzneimittel dieser Gruppe wird eine ständige Überprüfung der Nutzen/Risikorelation empfohlen.

Flupirtin wird für die Anwendung von mehr als zwei Wochen nicht mehr empfohlen. Die EMA wies auf zunehmende Berichte über schwere Leberschädigungen, insbesondere auch tödliches Leberversagen, hin. Beachten Sie diesbezüglich den entsprechenden Rote-Hand-Brief.

Tolperison wurde auf Empfehlung der EMA in seiner Anwendungsbreite eingeschränkt und soll auch in Deutschland nur noch zur Behandlung von Spastizität nach Schlaganfall bei Erwachsenen eingesetzt werden (Rote-Hand-Brief). Die Indikation Muskelverspannungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule und achsennahe Gelenke wurde aufgrund unklarer Nutzen/Risikorelation fallengelassen, da auch bei diesem Arzneimittel in der breiten Anwendung schwere Hautreaktionen bis hin zu anaphylaktischen Schockzuständen bei Überempfindlichkeitsreaktionen beobachtet wurden.
Die Datenlage zu Orphenadrin, Methocarbamol und Pyridinol ist insbesondere, was methodisch hochwertige, kontrollierte, randomisierte Studien anbetrifft problematisch, so dass hier im Einzelfall eine unklare Nutzen/Risikorelation vorliegt. 

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