5. Durchführung der AIT

Die AIT sollte von Ärzten durchgeführt werden, welche entweder über die Zusatzbezeichnung Allergologie oder über ausreichende entsprechende Therapieerfahrungen verfügen und zur Notfallbehandlung unerwünschter Arzneimittelunverträglichkeiten (anaphylaktischer Schock, Asthma bronchiale u.a.) in der Lage sind. 

Die Patienten sind vor der AIT über die Durchführung, Art und Dauer der Behandlung sowie zu erwartende Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen aufzuklären. Diese Aufklärung muss dokumentiert werden. Schriftliche Informationen zur AIT sollten dem Patienten zur Verfügung gestellt werden. Es ist empfehlenswert die Einwilligung des Patienten bzw. der Eltern schriftlich einzuholen.
 

5.1 SCIT

Bei sachgerechter Durchführung ist die SCIT als sichere und gut verträgliche Therapie anzusehen.
Vor jeder SCIT wird der Patient nach relevanten Grunderkrankungen, der Verträglichkeit der letzten Injektion, durchgemachten Erkrankungen, Medikamenteneinnahme und Impfungen befragt sowie das Intervall zur letzten SCIT überprüft. Augmentationsfaktoren (z.B. körperliche Belastung, Sauna, Alkoholgenuss) für allergische Reaktionen sollte kurz vor SCIT und für den Rest des Tages gemieden werden.

Bei saisonalen Allergenen wird die Behandlung bis zur Erhaltungsdosis in der Regel außerhalb der Pollenflugphase eingeleitet, die Fachinformation ist diesbezüglich zu beachten.
Eine kosaisonale Durchführung einer SCIT ohne Dosisreduktion ist bei Fehlen von allergischen Symptomen bei Injektion unter Berücksichtigung der Fach- und Gebrauchsinformation prinzipiell möglich.

Bei Vorliegen von nennenswerten allergischen Symptomen während der Pollenflugphase empfiehlt sich eine Dosisreduktion, in bestimmten Fällen (z.B. bronchiale Hyperreagibilität und Asthma) auch das Aussetzen der Therapie während der Pollenflugphase. Die Entscheidung hierüber sollte sich auch an der Fachinformation orientieren.

Lokale Schwellungen am Injektionsort sind sehr häufig. Gesteigerte Lokalreaktionen (>10cm Durchmesser der Rötung und Schwellung am Injektionsort) können einen Grund darstellen, die Dosierung entsprechend der Fach- und Gebrauchsinformation zu adaptieren. Eine gesteigerte Lokalreaktion stellt jedoch kein erhöhtes Risiko einer Allgemeinreaktion bei Weiterführung der SCIT dar. Bei Anwendung von Al (OH)³-haltigen SCIT-Produkten kann es selten, insbesondere bei zu oberflächlicher Injektion, zu Granulombildungen kommen. In diesen Fällen ist eine Umstellung auf ein Alternativpräparat zu diskutieren.
Wird eine Immuntherapie mit unterschiedlichen Extrakten am gleichen Tag durchgeführt, wird aus Sicherheitsgründen ein Abstand von 30 Minuten zwischen den Injektionen empfohlen.

Aus der Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) von 2014 ergibt sich aufgrund der derzeitigen Datenlage kein erhöhtes Gefährdungspotential bei Kindern oder Erwachsenen durch SCIT mit aluminiumadjuvantierten Therapieextrakten.
Systemisch allergische Reaktionen stellen ein für die AIT typisches Nebenwirkungspotential dar. In leichter bis schwerer Form können sie die Haut, den Gastrointestinaltrakt, die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System betreffen. Gemäß Daten aus dem PEI ergibt sich eine Inzidenz von schweren Reaktionen bezogen auf Injektionen mit nichtmodifizierten (nativen) Allergenen von 0.002 - 0.0076%, bei chemisch modifizierten Allergenextrakten 0.0005 - 0.01%.

Schwere Reaktionen sind teilweise erklärbar durch Risikofaktoren wie

  • aktuelle allergische Symptome und potentielle Allergenbelastung
  • aktuelle Infekte
  • Mastzellerkrankungen
  • Hyperthyreose
  • unkontrolliertes, unzureichend behandeltes Asthma
  • frühere anaphylaktische Reaktion während der AIT
  • hoher Sensibilisierungsgrad des Patienten
  • inadäquate Dosierung oder ungeeignete Injektionstechnik
  • unangemessene Kreislaufbelastung, starke körperliche Anstrengung, Sauna,
  • übermäßiger Alkoholgenuss des Patienten
     

5.2 SLIT

Die sublinguale Immuntherapie ist bei sachgerechter Durchführung sicher und gut verträglich.
Die erste Dosis sollte unter Berücksichtigung der Fach- und Gebrauchsinformation unter Kontrolle eines allergologisch erfahrenen Arztes einzunehmen.
Bei einigen SLIT-Präparaten kann unter Berücksichtigung der Fach- und Gebrauchsinformation ein intrasaisonaler Beginn erfolgen. Dieses Vorgehen wird jedoch nicht generell empfohlen.

Wird eine Immuntherapie mit unterschiedlichen Extrakten am gleichen Tag durchgeführt, wird aus Sicherheitsgründen ein Abstand von 30 Minuten zwischen den Allergengaben empfohlen.

Unter Berücksichtigung der Fach- und Gebrauchsinformation ist die SLIT bei Virusinfektionen des Respirationstraktes eventuell zu unterbrechen und danach wieder fortzusetzen. Bei akuten Entzündungen oder Verletzung der Mund- bzw. Rachenschleimhaut, bei größeren Eingriffen (Zahnextraktion) in der Mundhöhle, bei akuter Gastroenteritis oder bei unkontrolliertem Asthma sollte unter Berücksichtigung der Fach- und Gebrauchsinformation die SLIT ausgesetzt werden.

Bei mehrtägiger Pause ist die Wiederaufnahme der Behandlung je nach Fach- und Gebrauchsinformation durchzuführen.

Eine häufige Nebenwirkung bei 40 bis 75% der Patienten stellen lokale Reizerscheinungen im Mund-/Rachenraum dar, die vorwiegend mild sind und während der Anfangsphase auftreten. Gastrointestinale Nebenwirkungen werden mit 14% angegeben. Antihistaminika als Prämedikation können hilfreich sein. Hier ist gemäß der Arzneimittel- Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zu beachten, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bei Erwachsenen zu Lasten des Versicherten verordnet werden sollen, wenn diese zur Behandlung der Erkrankung medizinisch notwendig, zweckmäßig und ausreichend sind.


Da die Nebenwirkungen bei SLIT in der Regel bei häuslicher Applikation auftreten, muss der Patient sorgfältig über das Nebenwirkungspotential, aber auch über die bereits oben genannten Situationen aufgeklärt werden, in denen die SLIT ausgesetzt werden muss.
Das Risiko für schwere unerwünschte systemische Reaktionen ist bei SLIT deutlich geringer als bei SCIT. Allerdings sind auch hier schwere Fälle anaphylaktischer Reaktionen beschrieben, zumeist jedoch nach Behandlungen, die nicht den heutigen Standards entsprechen. Ein wichtiger Risikofaktor stellt auch hier die Behandlung von Patienten mit ungenügend kontrolliertem Asthma dar.

5.3 Notfalltherapie

Systemische Nebenwirkungen nach SCIT treten meist innerhalb der Beobachtungszeit von 30 Minuten in der Praxis auf. Systemische Reaktionen bedürfen wegen der Gefahr einer schnellen Verschlimmerung umgehend einer Therapie. Arzt sowie Praxispersonal müssen vertraut sein mit Medikamenten und Ausrüstung zur Behandlung eines allergologischen Notfalls.

Die Empfehlungen zur Notfalltherapie gelten analog auch für anaphylaktische Reaktionen nach SLIT.
 

5.4 Compliance und Adhärenz

Compliance sowie Adhärenz sind maßgebliche Faktoren, die den Erfolg einer AIT beeinflussen.

Die Optimierung der Compliance sowie Adhärenz sollte unabhängig von der Applikationsart zentrales Ziel während einer AIT sein. Eine optimierte Praxisorganisation unter Einbeziehung einer erhöhten Mitverantwortung des Patienten sollte dazu beitragen, die Therapieadhärenz des Patienten zu erhöhen und damit den Therapieerfolg der AIT zu sichern.

Eine detaillierte Patientenaufklärung trägt positiv zur Compliance und Adhärenz bei. Diese beinhaltet neben der Darstellung von Chancen und Risiken der AIT auch die Notwendigkeit einer mehrjährigen Therapiedauer sowie den Zulassungsstatus der einzelnen AIT-Präparate.  Sie ist somit zentraler Bestandteil der Therapie und gut zu dokumentieren.