6. Durchführung

6.1 Der „Zehn-Punkte-Plan“

Für die praktische Durchführung wird für Arzt und medizinische Fachkräfte ein „Zehn-Punkte-Plan“ empfohlen:
1.    Erfassung des Krankheitsbildes, des Stadiums, der Komplikationen
2.    Erfassung des Ernährungszustandes (Anthropometrie, Labor)
3.    Erfassung der Nahrungszufuhr (Art, Menge, mögliche Routen)
4.    Festlegung der Maßnahme (oral, enteral, parenteral)
5.    Ermittlung des Energiebedarfs (Harris-Benedict-Formel, Calorimetrie)
6.    Ermittlung des Substratbedarfs und Beachtung der Substratkapazität (Substratobergrenzen)
7.    Ermittlung des Wasser- und Elektrolytbedarfs
8.    Festlegung der Zusammensetzung der HPE und Auswahl des Produkts (Verordnung eines geeigneten
       Fertigarzneimittels oder Compounding)
9.    Kontrolle und Anpassung der ernährungsmedizinischen Maßnahme
10.  Prüfung von Alternativen im weiteren Verlauf (z. B. enteral statt parenteral etc.)

Die HPE ist eine medizinische Leistung, die ärztlich verordnet und koordiniert wird. Vor allem die Indikationsstellung, das Legen des Zugangs, die Erstellung des Rezepts und die Prüfung von Alternativen sind ärztliche Aufgaben. Einige Tätigkeiten können geschulten Pflegekräften übertragen werden, wie das Anhängen oder Wechseln der ärztlich verordneten Infusion zur parenteralen Ernährung, die Kontrolle der Laufgeschwindigkeit und der Füllmenge, das Durchspülen des Zugangs nach erfolgter Infusionsgabe und der Verschluss des Zugangs sowie die Pflege der Einstichstelle (zu Letzterem siehe Kapitel 4 „Apparative Voraussetzungen“). Andere Aufgaben, besonders die Punkte 2, 3, 5, 6, 7 und 9, können geschulten Ernährungsfachkräften übertragen werden.
Delegiert der Arzt Aufgaben, behält er dennoch die Aufsicht sowie die haftungsrechtliche und wirtschaftliche Verantwortung zur Durchführung der HPE.

Bitte beachten:

  •      Die Verabreichungsdauer für eine AiO-Nährlösung zur HPE sollte nicht länger als 24 Stunden betragen,
         die Nährlösung und das Infusionssystem sollten also spätestens nach 24 Stunden gewechselt werden.
  •      Für per Compounding zubereitete, standardisierte oder individuelle AiO-Lösungen sollte die Kühlkette
         (2–8 °C) während des Transports und für die Lagerung im häuslichen Umfeld garantiert sein.
     

6.2 Ausschließliche oder kombinierte HPE?

Eine zumindest minimale enterale Nahrungszufuhr (10–20 ml Substrat/ h) sollte, sofern keine orale Nahrungsaufnahme möglich ist, nach Möglichkeit parallel zur HPE durchgeführt werden, um das Risiko von Komplikationen unter HPE zu reduzieren (siehe Kapitel 2.4 „Kombinationen“).
 

6.3 Festlegung der Zusammensetzung der HPE

Aus den folgenden Berechnungen kann die bedarfsgerechte Zusammensetzung der HPE festgelegt werden. Bei partieller oraler oder enteraler Ernährung werden die parenteral zugeführten Mengen entsprechend reduziert. Auf dieser Basis soll von ärztlicher Seite ein passender Dreikammerbeutel ausgewählt und zusammen mit den nötigen Supplementen (Vitamine, Spurenelemente, bei Bedarf auch Elektrolyte) rezeptiert werden. Alternativ kann bei Bedarf eine individuelle Rezeptur für ein Compounding verordnet werden.

  •      Der Energiebedarf muss individuell mittels Formel (z. B. Harris-Benedict-Formel) oder Calorimetrie
         (z. B. bei Schwerkranken) ermittelt werden . Der Energiebedarf sollte im Verlauf erneut bestimmt
         werden, generell nach zwölf Monaten oder wenn die Ernährungsziele nicht erreicht werden.
  •      Der Substratbedarf wird pauschal ermittelt unter Berücksichtigung einer eventuellen oralen
         Nahrungsaufnahme und individuell angepasst:
         -    Zuerst wird die Aminosäurenzufuhr festgelegt, in der Regel 1,5 g/(kg KG*d), gegebenenfalls weniger
              oder auch mehr (siehe entsprechende Leitlinien).
         -    Dann wird das Energieverhältnis Glukose/Lipide (60 : 40, gegebenenfalls 50 : 50 bei respiratorischer
              Insuffizienz oder 70 : 30 bei Hypertriglyceridämie) festgelegt.
         -    Schließlich werden die metabolischen Obergrenzen (Glukose < 4 g/(kg KG*d);
              Lipide < 2 g/(kg KG*d)) geprüft.
  •      Die Flüssigkeitszufuhr wird in der Regel mit 35 ml/(kg KG*d) festgelegt, bei paralleler oraler
         Flüssigkeitszufuhr weniger, bei Fieber mehr (+ 35 ml/(kg KG*d) pro 1 °C), individuelle Anpassung im
         Verlauf nötig je nach klinischer Symptomatik, ZVD, Flüssigkeitsbilanz etc.
  •      Die Elektrolytzufuhr erfolgt standardisiert und wird nach Laborwerten individuell angepasst.
  •      Vitamine und Spurenelemente werden pauschal substituiert (siehe Kapitel 5.4 „Additiva“).