5. Auswahl der Ernährungslösungen

5.1 Einzelkomponenten versus Mehrkammerbeutel

Für die HPE sollten ausschließlich „All-in-one-Lösungen“ (AiO), die Glukose, Aminosäuren, Fette und Elektrolyte enthalten, verwendet werden.
Mehrflaschensysteme sollten wegen höherer Risiken (Infektion) und aufwendigerer Handhabung nicht zum Einsatz kommen. Grundsätzlich sollte die Handhabung so einfach wie möglich gestaltet werden, um Fehlerquoten und insbesondere die Sepsisgefahr zu minimieren. Deshalb sollten auch Zweikammerbeutel (Glukose, Aminosäuren) mit Lipidüberleitungen zur Supplementierung von Lipiden vermieden werden. Zweikammerbeutel werden im Bereich der HPE in der Regel nicht benötigt. 

AiO-Lösungen zur HPE können auf unterschiedliche Weise hergestellt oder zubereitet werden:

  •      Dreikammerbeutel mit einer Auswahl an festgelegten Zusammensetzungen (Fertigarzneimittel)
  •      Klassisches Compounding im All-in-one-Beutel (individuelle Zusammensetzung als Rezeptur)
  •      Compounding im Mehrkammerbeutel (mehr als drei Kammern für individuelle Zugabe von
         Mikronährstoffen, Supplementen, Medikamenten etc.; individuelle Zusammen-setzung als Rezeptur)

Am weitesten verbreitet sind aktuell die Dreikammerbeutel (bei ca. 60–70 % der Patienten), die industriell hergestellt werden (Fertigarzneimittel) und in diversen Zusammensetzungen verfügbar sind. Es handelt sich um Arzneimittel, die Glukose, Aminosäuren, Lipide und Elektrolyte enthalten und kurz vor Anwendung durch kontaminationsfreie Aufhebung der Kammernähte zu einer AiO transferiert werden. Diese Produkte sind steril und deshalb im Originalzustand zunächst lange haltbar (in der Regel mehrere Monate ohne Kühlung). Aus mikrobiologischer Sicht sollten die Dreikammerbeutel nach Auftrennen der Kammernähte sofort verwendet werden. In den Fachinformationen der jeweiligen Dreikammerbeutel finden sich zudem differenzierte Angaben zu gegebenenfalls längeren Aufbewahrungszeiten und -bedingungen, sollte eine sofortige Applikation nicht möglich sein.
Außerdem müssen die Dreikammerbeutel mit den nötigen Mikronährstoffen (Vitamine, Spurenelemente in Standarddosierung, gegebenenfalls zusätzliche Elektrolyte nach individuellem Bedarf) steril supplementiert werden. Die Dreikammerbeutel dürfen nur mit Vitaminen und Spurenelementen gemischt werden, für die die Kompatibilität erwiesen ist (siehe Fachinformation). Im Dreikammerbeutel gibt es dafür vorgesehene Zuspritzports. Die Zugabe von Vitaminen und Spurenelementen erfolgt aus Gründen der Stabilität jeweils kurz vor Verabreichung der Infusion. Angaben zu gegebenenfalls längeren Aufbewahrungszeiten und -bedingungen finden sich in den Fachinformationen der jeweiligen Präparate.
Für Dreikammerbeutel sprechen die Zulassung als Fertigarzneimittel (Herstellerhaftung), lange Haltbarkeit und unter Umständen auch Kostenaspekte. Diese Beutel sind als Standard anzusehen und für die Mehrheit der Patienten mit HPE gut geeignet. Mehrkammerbeutel werden in zahlreichen Varianten angeboten, die sich hinsichtlich Beutelgröße (Erwachsene: 1.000–2.000 ml, Kinder: 500–1.000 ml), Substratverteilung (z. B. Lipidanteil an Nicht-Protein-Kilokalorien 30–50 %), Energiedichte (0,5–2 kcal/ml), Osmolarität (für zentral- oder periphervenöse Applikation), Elektrolytgehalt (v. a. Kalium) und Art der Substrate (z. B. Art der Fettsäuren) unterscheiden. Aufgrund dieser Varianten kann ein Großteil der im ambulanten Bereich parenteral ernährten Patienten mit Dreikammerbeuteln adäquat versorgt werden. Die Wahl des Dreikammerbeutels obliegt dem behandelnden Arzt und muss nach individuellen Notwendigkeiten und Bedürfnissen entsprechend den Leitlinienempfehlungen getroffen werden. Auf der Basis der individuellen Festlegung der Menge und der Zusammensetzung der HPE (siehe Kapitel 6.3 „Festlegung der Zusammensetzung der HPE“) können geeignete Dreikammerbeutel ausgewählt werden. Unter den medizinisch geeigneten Dreikammerbeuteln kann anschließend nach ökonomischen Gesichtspunkten gewählt werden.
Alternativen zu den Dreikammerbeuteln sind AiO-Lösungen, die durch Compounding (bei ca. 30–40 % der Patienten) hergestellt oder zubereitet wurden. Das klassische Compounding erfolgt in Apotheken als Zubereitung, die permanent gekühlt sein und in der Regel innerhalb von 72 Stunden verwendet werden muss. Das Compounding verlangt eine Zubereitung aus Einzelkomponenten (Glukose-, Aminosäuren- und Fettlösung sowie Mikronährstoffe für die i.v.-Anwendung) unter sterilen Bedingungen, vorzugsweise in einer Laminar-Flow-Kabine, und eine Sicherstellung der Kompatibilität der Mischung durch die Apotheke. Das Compounding wird inzwischen nicht nur als Zubereitungsverfahren in Apotheken, sondern auch von Herstellbetrieben mit entsprechender Erlaubnis angeboten.

Eine noch recht neue Sonderform stellt das Compounding in Mehrkammerbeuteln (z. B. in sogenannten Eurotubes®) dar. Es handelt sich um Mehrkammerbeutel mit mehr als drei Kammern. Es gibt Kammern für die Aminosäuren, Fette und Kohlenhydrate und zusätzliche Kammern z. B. für Vitamine, Spurenelemente und Elektrolyte. Auch Arzneimittel können bei Vorliegen entsprechender Kompatibilitäts- und Stabilitätsdaten und einer ärztlichen Verordnung in den Therapieblock gefüllt werden. Es handelt sich formal um Individualrezepturen. Interessant am Compounding in Mehrkammerbeuteln ist, dass – im Gegensatz zu industriell gefertigten Dreikammerbeuteln – keine externe Manipulation durch Zugabe von Vitaminen und Spurenelementen erforderlich ist, weil diese in den Kammern des Therapieblocks enthalten sind und durch Auftrennen der Nähte zugemischt werden können. Das Verfahren wird derzeit in Studien getestet. Der Stellenwert in der ambulanten Versorgung ist derzeit unklar, Ergebnisse der Studien sollten auch vor dem Hintergrund der höheren Kosten gegenüber Compounding in einer oder drei Kammern abgewartet werden.

Alle AiO-Nährlösungen sollten durch geeignete Labormethoden auf Stabilität und Kompatibilität geprüft werden. Diese Aufgabe liegt in der Verantwortung der herstellenden Industrie oder der zubereitenden Apotheke.
Das Compounding erfordert eine detaillierte ärztliche Rezepterstellung. Vorteile des Compoundings sind die Flexibilität und die besondere individuelle Anpassungsmöglichkeit der Zusammensetzung, was vor allem bei Kindern, bei Langzeitpatienten mit atypischem Substratbedarf oder bei Risikopatienten mit Stoffwechselentgleisung oder instabiler Stoffwechsellage von Vorteil ist.
 

5.2 Standardnährlösungen

Für HPE verwendete parenterale Nährlösungen müssen den patientenbezogenen Anforderungen entsprechen. Dafür können entweder kommerziell hergestellte, gebrauchs-fertige parenterale Nährlösungen (Dreikammerbeutel) oder durch Compounding erstellte Nährlösungen als AiO-Lösungen verwendet werden, siehe Kapitel 5.1 „Einzelkomponenten versus Mehrkammerbeutel“.
Eine Standardnährlösung für die HPE soll als Makronährstoffe Glukose, ein vollständiges Aminosäurengemisch und Lipide und entsprechend den individuellen Bedarfsmengen Vitamine und Spurenelemente als Mikronährstoffe in den von der DGE empfohlenen Dosierungen enthalten.
Standardnährlösungen sollten eine Energiedichte von ca. 1 kcal/ml (Bereich 0,9–1,2 kcal/ml) aufweisen.
Speziell für den Einsatz über eine periphere Venenverweilkanüle angebotene Lösungen für den „peripheren Einsatz“ (Energiedichte meist 0,6–0,8 kcal/ml) werden in der Regel für die HPE nicht benötigt. Sie sind allenfalls als Überbrückung oder in Ausnahmefällen, in denen die Anlage eines zentralen Venenkatheters (klassische Variante oder PICC) nicht möglich ist, zu rechtfertigen (siehe auch Kapitel 2.6 „Peripher durchgeführte HPE“ und 4.1 „Der parenterale Zugang“).

Es sollten Lipide der 2. oder 3. Generation verwendet werden.
Lipide der 1. Generation (langkettige Fettsäuren, meist aus Sojabohnen hergestellt) sollten wegen ungünstiger metabolischer Eigenschaften (hohe Oxidierungsgefahr, Immun-suppression etc.) als ausschließliche Lipidquelle gemieden werden.
Lipide der 2. Generation (LCT/MCT-Gemisch) sind Gemische aus langkettigen Fettsäuren (LCT) und mittelkettigen Fettsäuren (MCT). Sie können in der HPE eingesetzt werden.
Lipide der 3. Generation sind Weiterentwicklungen auf der Basis natürlicher Fettsäurequellen (z. B. Olivenöl, Fischöl) oder synthetischen Ursprungs („strukturierte Lipide“). Sie können in der HPE eingesetzt werden.
Lipide der 2. und der 3. Generation haben eindeutige Vorteile im Vergleich zu Lipiden der 1. Generation, da sie keine ungünstigen Auswirkungen auf das Immunsystem haben. Ob Lipide der 3. Generation Vorteile gegenüber denen der 2. Generation haben, ist wahrscheinlich, aber nicht eindeutig belegt. Ob bestimmte Präparate innerhalb der 3. Generation gegenüber anderen Präparaten der 3. Generation Vorteile aufweisen und deshalb bevorzugt verordnet werden sollten, ist wissenschaftlich nicht pauschal geklärt. Somit muss die Auswahl des Lipidpräparats für die HPE derzeit auf individueller Basis sowohl nach medizinischen Gesichtspunkten entsprechend den aktuellen krankheitsbezogenen Leitlinien (siehe Websites der DGEM und ESPEN) als auch nach ökonomischen Gesichtspunkten getroffen werden.

Standardlösungen sind gegenüber Speziallösungen in der Regel günstiger und in den meisten Fällen ausreichend. Unabhängig von den Kosten müssen die für die HPE eingesetzten Standardlösungen die oben genannten Eigenschaften und Voraussetzungen erfüllen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann das Produkt nach Preisen (siehe Präparateübersicht) und Verfügbarkeiten ausgewählt werden.
 

5.3 Speziallösungen

Speziallösungen (z. B. Glutamin-haltige Lösungen) werden bei CIF im Rahmen der HPE in der Regel nicht benötigt. Allenfalls bei Komorbiditäten wie fortgeschrittener Niereninsuffizienz oder hepatischer Enzephalopathie kann eine Speziallösung im begründbaren Einzelfall indiziert sein (siehe Leitlinien der DGEM und ESPEN), sodass die höheren Kosten dann gerechtfertigt sind.
Im begründbaren Einzelfall können in der HPE spezielle pharmakologisch wirksame Zusätze oder Lösungen (z. B. Glutamin) verwendet werden.
 

5.4 Additiva

Zu den Additiva in der HPE zählen Elektrolyte, Vitamine, Spurenelemente, Flüssigkeiten sowie pharmakologisch wirksame Zusätze. Dabei gelten folgende Regeln:

  •      Mehrkammerbeutel können unmittelbar vor der Infusion durch Zugabe von Elektrolyten entsprechend
         den mittels Laborwerten ermittelten individuellen Bedürfnissen und entsprechend den Stabilitäts- und
         Verträglichkeitsdaten vervollständigt werden (engmaschige Laborkontrollen sind obligat).
  •      Mehrkammerbeutel (gegebenenfalls auch Compounding-AiO-Lösungen) sollen unmittelbar vor der
         Infusion durch Zugabe von Spurenelementen und Vitaminen entsprechend den Stabilitäts- und
         Verträglichkeitsdaten vervollständigt werden (Laborkontrollen auf Spurenelemente und Vitamine in
         größeren Abständen; Abrechnung gemäß EBM nur zu Beginn und bei klinischen
         Mangelerscheinungen).
         -    Manche Vitaminpräparate enthalten kein Vitamin K (siehe Präparateübersicht). Diese sind
              besonders geeignet für Patienten, denen nicht zusätzlich Vitamin K zugeführt werden sollte (z. B.
              bei Einnahme oraler Vitamin-K-Antagonisten). Bei einer länger andauernden parenteralen
              Ernährung sollte daher auch an eine ausreichende Vitamin-K-Versorgung gedacht werden.
         -    In manchen industriell gefertigten Dreikammerbeuteln (siehe Präparateübersicht) ist Zink bereits in
              einer gewissen Menge (20–80 µmol) enthalten.
  •      Die Supplementierung von Arzneimitteln zu Mehrkammerbeuteln und individuellen AiO-Mischungen
         sollte vermieden werden; es sei denn, es liegen spezifische pharmazeutische Daten vor, die die
         Verträglichkeit und Stabilität des Medikaments mit der parenteralen Nährmischung belegen. 
  •      Bei Verordnung von HPE als Compounding ist eine Angabe der Zusammensetzung, der Dosierung und
         der Infusionsgeschwindigkeit erforderlich.