Orale Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern (nv-VHF)

Nicht-valvuläres Vorhofflimmern (nv-VHF) ist definiert als Vorhofflimmern in Abwesenheit einer mechanischen Herzklappe oder einer (rheumatischen) Mitralstenose.

Die schwerwiegendste Folge von Vorhofflimmern ist der kardioembolische Schlaganfall. Das individuelle Schlaganfallrisiko eines Patienten kann mit Hilfe des CHA2DS2-VASc-Score ermittelt werden.

Die Prüfung zur Indikation für eine orale Antikoagulation umfasst immer eine Nutzen-Risiko-Beurteilung. Dabei erfolgt neben der Ermittlung des Schlaganfallrisikos auch die Abschätzung des Blutungsrisikos, beispielsweise mit dem HAS-BLED-Score.

Bei bestehender Indikation für eine Thromboembolieprophylaxe können Vitamin K-Antagonisten oder direkte orale Antikoagulantien (DOAK) eingesetzt werden. Die Auswahl richtet sich dabei nach der klinischen Gesamtsituation, etwaigen Begleiterkrankungen, Komedikation und Präferenz des Patienten. 

Vitamin K-Antagonisten
Vitamin K-Antagonisten (VKA) hemmen in der Leber die Vitamin K-abhängige Synthese der Blutgerinnungsfaktoren. Seit mehreren Jahrzehnten ist die orale Antikoagulation mit VKA etabliert, da durch diese Therapie das Schlaganfallrisiko im Vergleich zu Placebo um mehr als 60 % gesenkt werden kann. Studien zur Antikoagulation mit VKA wurden überwiegend mit Warfarin durchgeführt, das u. a. in den USA bevorzugt eingesetzt wird. In Deutschland wird hingegen meist Phenprocoumon verordnet. Die beiden Substanzen unterscheiden sich hauptsächlich in ihrer Pharmakokinetik und daraus resultierender unterschiedlich langanhaltender Wirkung. VKA werden überwiegend hepatisch eliminiert, weshalb sie als Mittel der Wahl bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion gelten.

Vitamin K-Antagonisten weisen ein relativ enges therapeutisches Fenster, sowie eine hohe inter- und intraindividuelle Variabilität in der therapeutischen Dosis auf. Darüber hinaus sind zahlreiche relevante Interaktionen mit Nahrungsmitteln und Arzneimitteln bekannt. 

Eine engmaschige Therapiekontrolle durch Bestimmung der Thromboplastinzeit – bevorzugt angegeben als INR - ist unerlässlich, um mögliche Über- oder Unterdosierungen zu vermeiden. Bei der Therapie mit VKA liegt der INR-Zielbereich bei 2,0-3,0, sofern das Blutungsrisiko der Patienten nicht erhöht ist. Die in Deutschland im Verhältnis zu anderen Ländern weiter verbreitete INR-Selbstmessung, die im Vergleich zum alleinigen ärztlichen Gerinnungsmanagement nachweislich zu einer Verminderung von schweren Thromboembolien und Todesfällen führt, ist ein Grund dafür, dass Ergebnisse von Studien mit Warfarin nur bedingt auf Patienten in Deutschland übertragbar sind. 

Treten unter einer Therapie mit VKA Blutungen oder andere Nebenwirkungen auf, existiert das Antidot Vitamin K1. Es ist in der Lage, die antikoagulative Wirkung innerhalb von 24 Stunden aufzuheben. In besonders bedrohlichen Situationen kann auch eine direkte Aufhebung der Antagonisierung durch Ersatz mit Prothrombinkomplex-Präparaten (PPSB) erfolgen.

Direkte orale Antikoagulantien (DOAK)
Zu den direkten oralen Antikoagulantien (DOAK) zählen der direkte Thrombinhemmer Dabigatran, sowie die Faktor-Xa-Hemmer Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban. Die Substanzen sind gemäß ihrer Fachinformationen zugelassen zur Prävention von Schlaganfall und systemischer Embolie bei Patienten mit nv-VHF, wenn mindestens ein Risikofaktor, wie z. B. vorausgegangener Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke, Alter ≥ 75 Jahre, (kongestive) Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus oder (arterielle) Hypertonie, vorliegt.

In den randomisierten, kontrollierten Zulassungsstudien wurde primär auf Nichtunterlegenheit der DOAK gegenüber Warfarin geprüft. Dieses Ziel wurde in allen Studien erreicht. So waren Schlaganfälle und systemische Embolien unter DOAK nicht häufiger als unter Warfarin (bei Edoxaban nur unter dem Dosisregime 1 x 60 mg/d). Besser wirksam als Warfarin waren Dabigatran 2 x 150 mg/d und Apixaban 2 x 5 mg/d. Dieser Vorteil war allerdings sehr gering. So wurden in 1.000 Behandlungsjahren in der angegebenen Dosis mit Dabigatran etwa sechs und mit Apixaban etwa drei Insulte oder Embolien mehr verhindert als unter Warfarin, d.h. etwa 170-300 Patienten müssen für ein Jahr mit Dabigatran bzw. Apixaban statt mit Warfarin behandelt werden, um einen Schlaganfall oder eine systemische Embolie zusätzlich zu verhindern. Schwere Blutungen traten unter DOAK im Vergleich zu Warfarin ähnlich häufig auf (Dabigatran 2 x 150 mg/d, Rivaroxaban 1 x 20 mg/d) oder geringfügig seltener (Dabigatran 2 x 110 mg/d, Apixaban, Edoxaban 1 x 60 mg/d). Intrakranielle und lebensbedrohliche Blutungen waren unter allen DOAK seltener, gastrointestinale Blutungen traten unter Dabigatran 2 x 150 mg/d, Rivaroxaban und Edoxaban 1 x 60 mg/d im Vergleich zu Warfarin dagegen vermehrt auf. Die Gesamtsterblichkeit war ausschließlich für Apixaban signifikant gegenüber Warfarin vermindert. Die schlechte Einstellung der INR-Werte unter Warfarin in vielen Studienzentren beeinträchtigt allerdings die Aussagekraft der Studienergebnisse und ihre Übertragbarkeit auf deutsche Versorgungsverhältnisse. 

Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V stellte der Gemeinsame Bundesausschuss für Apixaban und Edoxaban im Vergleich zu VKA in der Schlaganfallprophylaxe lediglich einen Hinweis für einen geringen Zusatznutzen fest. Bei beiden Wirkstoffen weist der G-BA darauf hin, dass die geringen Vorteile von Apixaban bzw. Edoxaban gegenüber Warfarin in der Gesamtstudie im deutschen System der medizinischen Versorgung vermutlich noch deutlich geringer ausfallen. Für Dabigatran und Rivaroxaban wurde keine Nutzenbewertung durchgeführt, da diese Wirkstoffe bereits vor Einführung des AMNOG am 1. Januar 2011 auf dem Markt waren. 

Wie für VKA sind auch für DOAK Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln beschrieben, welche allerdings weniger gut erfasst werden können, da bei DOAK ein Monitoring (Gerinnungsstatus) laut Zulassung nicht angezeigt und routinemäßig auch nicht möglich ist.

Kommt es unter der Therapie mit DOAK zu Blutungen, orientiert sich das Vorgehen an der Stärke der Blutung und dem daraus resultierenden Gefährdungspotenzial. Im Fall von leichten, nicht bedrohlichen Blutungen kann meist die Zeit bis zum Abklingen der antikoagulatorischen Wirkung abgewartet werden. Bei schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Blutungen ist die schnellstmögliche Aufhebung der antikoagulatorischen Wirkung erforderlich. Hierfür existieren spezifische Antidote: Idarucizumab für Dabigatran, sowie Andexanet alfa für Apixaban und Rivaroxaban. Für Edoxaban ist zum aktuellen Zeitpunkt kein Antidot zugelassen.

Vor Therapiebeginn mit einem DOAK, und bei älteren Patienten auch im Verlauf, ist eine Kontrolle der Nierenfunktion angezeigt. Je nach Ausprägung der Funktionseinschränkung sind DOAK kontraindiziert oder müssen in ihrer Dosis angepasst werden. Die Abhängigkeit der Pharmakokinetik von der Nierenfunktion ist bei Dabigatran, welches hauptsächlich renal eliminiert wird (ca. 85 %) ausgeprägter als bei den Xabanen, welche nur teilweise renal eliminiert werden (ca. 27–50 %). 

Weitere notwendige Anpassungen der Dosierung, beispielsweise aufgrund von hohem Alter oder bei niedrigem Körpergewicht, sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen. Die AkdÄ empfiehlt hinsichtlich der Dosierungen den Vorgaben in den Fachinformationen genau zu folgen und sie nicht davon abweichend zu reduzieren, weil eine Dosisreduktion ohne entsprechende Indikation das Risiko für einen Schlaganfall erhöht.

Bitte beachten Sie nachfolgende Empfehlungen zur Auswahl eines oralen Antikoagulans unter therapeutischen und wirtschaftlichen Aspekten:

Der Einsatz von Vitamin-K-Antagonisten wird empfohlen bei:

  • Patienten, deren INR unter bereits bestehender Therapie mit VKA stabil im therapeutischen Bereich liegt (INR > 70 % der Zeit im therapeutischen Bereich)
  • unsicherer Adhärenz
  • hohem Risiko für gastrointestinale Blutungen (z. B. Ulzera, Ösophagusvarizen, entzündliche Darmerkrankungen) 
  • schwerer Nierenfunktionseinschränkung (CrCl < 30 ml/min)
  • Einnahme von Arzneimitteln, für die CYP3A4- und P-Glykoprotein-Wechselwirkungen beschrieben sind (siehe Fachinformationen der DOAK)
  • Antiphospholipid-Syndrom
  • linksventrikulären Thromben
  • künstlichen Herzklappen

Nur nach eingehender Prüfung sollten DOAK statt VKA angewendet werden bei: 

  • mäßiger Nierenfunktionseinschränkung (CrCl 30–50 ml/min) 
  • zusätzlicher Indikation für eine einfache und vor allem für eine duale Thrombozytenaggregationshemmung 
  • Multimedikation (≥ 5 Arzneimittel)

Der Einsatz von DOAK wird empfohlen bei:

  • einem hohen Risiko für intrazerebrale Blutungen
  • stark schwankenden INR-Werten trotz regelmäßiger Einnahme von VKA
  • Patienten, für die eine regelmäßige Kontrolle des INR-Wertes nicht möglich ist
  • einem erhöhten Risiko für spezifische Arzneimittel- oder Nahrungsmittelinteraktionen unter VKA
  • neu diagnostiziertem nv-VHF, das akut einer Rhythmisierung oder Ablation zugeführt werden soll

Da die Kosten einer Therapie mit DOAK ein Vielfaches über denen einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten liegen, sollte es sich immer um eine Entscheidung im Einzelfall handeln, bei der Risiken und möglicher Nutzen individuell für den Patienten abgewogen werden. Spricht nichts gegen eine Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten, ist dieser aus wirtschaftlichen Gründen der Vorzug zu geben.

Quellen:
1. Leitfaden „Orale Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern“ der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), 3., überarbeitete Auflage (Stand: November 2019)
2. Schäfer, Patrick: Allgemeinpharmazie, 1. Aufl., Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2017.