4. Präparateauswahl

Eine Vielzahl von Studien liegt zum Wirksamkeitsnachweis der AIT für die verschiedenen Allergengruppen vor. Dies gilt insbesondere für die zulassungspflichtigen Allergene. Eine generelle Empfehlung für eine Applikationsform oder ein Krankheitsbild kann hieraus nicht abgeleitet werden. Die Auswahl der Applikationsform stellt somit eine Entscheidung im Einzelfall dar und bedarf neben der primären Berücksichtigung der Belege zur Wirksamkeit jedes AIT-Präparates auch die der Kosten. Allgemein sollte bei der Entscheidung für ein Produkt die evidenzbasierte Wirksamkeit und Sicherheit im Fokus stehen. Hierbei kann der Zulassungsstatus eine gute Orientierung bieten. Nur bei zugelassenen Präparaten ist die behördliche Prüfung hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit abschließend und umfassend erfolgt. 
„Die staatliche Chargenprüfung ist kein Ersatz für die im Zulassungsverfahren umfassend durch Daten aus klinischen Prüfungen zu belegende klinische Wirksamkeit des Therapieallergens. Im Rahmen der staatlichen Chargenprüfung wird die Qualität und die Übereinstimmung eines Therapieallergens mit den Vorgaben des Europäischen Arzneibuchs durch Bestimmung von quantitativen Parametern verifiziert und die Einhaltung der Spezifikationen für eine gleichbleibende Qualität kontrolliert.“
 

4.1 Therapieallergeneverordnung (TAV)

Mit Einführung der TAV im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber verbindliche Regeln für die Herstellung und den Handel von Allergenextrakten festgelegt. Ziel der TAV ist die Qualitätssteigerung der spezifischen Immuntherapie. Neben einer geregelten Chargenprüfung legt die TAV die Modalitäten für eine Zulassungspflicht von Therapieextrakten fest. Demnach sind häufig eingesetzte Allergenextrakte, welche Gräserpollen, Erle, Birke, Hasel, Dermatophagoidesspezies, Bienen- oder Wespengift enthalten zulassungspflichtig und sind ausschließlich als zugelassene Fertigarzneimittel gemäß dem deutschen Arzneimittelgesetz in den Handel zu bringen.

Die TAV räumt eine Übergangsregelung ein, wonach sich noch im Zulassungsprozess befindliche Allergenextrakte, welche die oben genannten Allergene („TAV-Allergene“) enthalten, bis zur Entscheidung über den Zulassungsantrag hinsichtlich der Verschreibungs- und Verkehrsfähigkeit den zugelassenen Präparaten gleichgestellt sind aber den Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit noch erbringen müssen. Diese Übergangsregelung soll laut PEI 2026 abgeschlossen sein. Aus der Verkehrsfähigkeit leitet sich jedoch eine Erstattungsfähigkeit nicht automatisch ab – diese wird aktuell kontrovers diskutiert und Prüfanträge können nicht rechtssicher ausgeschlossen werden.

Eine Vielzahl von TAV-Präparaten musste den Markt bereits verlassen bzw. wurden von der pharmazeutischen Industrie vom Markt genommen. Hieraus ergeben sich entsprechende Konsequenzen für Arzt und Patient, da u.U. begonnene Therapien nicht zu Ende geführt werden können. Da auch künftig diesbezüglich Marktrücknahmen nicht ausgeschlossen werden können, sind bei der Präparatewahl das Ende der Übergangsregelung der TAV und mögliche weitere Vertriebsstopps zu bedenken. Es wird empfohlen bei Neueinstellungen für die TAV-Präparate bevorzugt auf zugelassene, in ihrer Wirksamkeit und Sicherheit bestätigte AIT-Extrakte zurückzugreifen.

Sollte kein zugelassenes Präparat zur Verfügung stehen (seltene Allergene) kann auf anderweitig verkehrsfähige Allergenpräparate zurückgegriffen werden, die eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz gemäß EMA Guidelines aufweisen. 

Der Zulassungsstatus eines AIT-Produktes kann u.a. über nachstehende Quellen überprüft werden:

Hierdurch können zugelassene Präparate von (noch) nicht zugelassenen Präparaten sowie individuellen Rezepturen abgegrenzt werden. 

Die Zulassungspflicht der TAV umfasst nicht das ganze notwendige Allergenspektrum um individuelle allergische Erkrankungen mittels AIT zu therapieren. Der Gesetzgeber hat daher die Möglichkeit eingeräumt, seltener eingesetzte Allergene (z.B. Esche, Beifuß, Alternaria, Tierallergene wie z.B. Katze, Vorratsmilbe wie z.B. Acarus siro u.a.) als sogenannte Individualrezepturen ohne Zulassungspflicht außerhalb der TAV auch weiterhin verordnen zu können.
Eine Beimischung dieser Allergene zu den zulassungsbedürftigen Allergenen ist nicht möglich, ansonsten unterliegt dieser Extrakt der TAV und bedarf einer Zulassung.

4.2 Präparateauswahl bei Kindern und Jugendlichen

Hier hat sich die Studienlage in den letzten Jahren gerade bei der SLIT deutlich verbessert. Die bisher vorhandenen Zulassungslücken im Baumpollen- und Milben-Segment bei der Versorgung im Kindes- und Jugendalter konnten durch neue klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit geschlossen werden. Für beide Altersgruppen gibt es nun sowohl bei der SCIT als auch bei der SLIT zugelassene und auf ihre Sicherheit geprüfte Präparate.

Insgesamt lassen sich folgende Erkenntnisse bei der AIT-Versorgung von Kindern und Jugendlichen ableiten:

  • Bei Gräserpollen-Allergie ist die Wirksamkeit und Sicherheit für Kinder ab 5 Jahren und Jugendlichen bei einzelnen zugelassenen Präparaten bei der SCIT und SLIT gut belegt.
  • Bei Baumpollen liegen bei vier SCIT-Präparaten Zulassungen für Kinder ab 5 Jahren und Jugendliche, bei der SLIT für ein Präparat vor. Explizite klinische Nachweise aus Wirksamkeitsstudien für Kinder ab 5 Jahren und Jugendliche existieren für jenes SLIT-Präparat.
  • Bei Hausstaubmilben sind für die Altersgruppe ab 5 Jahren bzw. Jugendliche drei SCIT-Präparate zugelassen, wobei bei einem Präparat klinische Nachweise zur Wirksamkeit vorliegen. Bei der SLIT bestehen explizite klinische Nachweise aus Wirksamkeitsstudien für Kinder ab 5 Jahren und Jugendliche für ein Präparat, sowie für das zweite SLIT-Präparat bei Jugendlichen, dementsprechend ist ein SLIT-Präparat ab 5 Jahren und ein weiteres Präparat ab 12 Jahren zugelassen.  

Produktspezifische Unterschiede müssen aufgrund der heterogenen Studienlage berücksichtigt werden.
Gerade bei Kindern und Jugendlichen als vulnerable Gruppe gilt die Empfehlung zugelassene Therapieallergene einzusetzen.
 

4.3 Präparateauswahl bei Mehrfachhyposensibilisierung

Die Effizienz einer AIT hängt von der optimalen therapeutischen Dosis eines jeden einzelnen klinisch relevanten Allergens ab. Die Daten zur Wirksamkeit und den immunologischen Effekten der AIT basieren im Wesentlichen auf Studien, bei denen eine Monotherapie mit einem Allergenextrakt durchgeführt wurde. Es sollten daher keine unterschiedlichen (nicht homologen) Allergengruppen in einer zur Therapie verwendeten Allergenpräparation gemischt werden, wenn der Einsatz einer solchen Mischung nicht durch Daten aus klinischen Studien gestützt wird. 

Saisonale und perenniale Allergene sollen grundsätzlich nicht in einem Extrakt gemischt werden.
Dies trifft ebenso zu für Kombinationen aus Milben- und Tierallergenen, Milben- und Schimmelpilzallergenen oder Extrakten mit Pollen- und Schimmelpilzallergien, die aufgrund enzymatischer Abbauvorgängen nie gemischt werden dürfen.