1. Hintergrund
Depressive Störungen gehören zu den wichtigsten Volkskrankheiten mit weiterhin steigender Tendenz. Die Lebenszeitprävalenz liegt national wie international bei 16-20%. Die Häufigkeit einer unipolaren Depression in einem Zeitraum von 12 Monaten liegt laut DEGS- Studie in der Allgemeinbevölkerung bei 8,2 %. Dies entspricht mehr als 5 Millionen Betroffenen, die in ihrer gesamten Lebensführung erheblich beeinträchtigt sind und ein eindeutig erhöhtes Suizidrisiko aufweisen. Depressive Störungen sind mit hohen direkten und indirekten Kosten assoziiert und gehören zu den häufigsten Ursachen von Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung. Die Verordnungen von Antidepressiva (AD) haben in den letzten 10 Jahren um ca. 35 % zugenommen. Die zu Lasten der GKV verordneten SSRI- Tagesdosen sind zwischen 2013 und 2022 von 596 auf 860 Millionen DDD (Daily Defined Doses) angestiegen, dies entspricht einer Zunahme von 45 %. Einige AD sind zur Therapie von Angst- oder Zwangsstörungen, polyneuropathischer Schmerzen oder von Essstörungen zugelassen, werden jedoch auch häufig bei leichtgradiger unipolarer Depression eingesetzt, oder außerhalb der Zulassung bei Schlafstörungen, Erschöpfungszuständen, Fatigue oder Migräne. Festzuhalten ist, dass der Effekt einer Behandlung mit Antidepressiva mit dem Schweregrad der Erkrankung zunimmt. Etwa ein Drittel der medikamentös Behandelten spricht nicht oder nur unzureichend auf eine medikamentöse Intervention an. Obwohl eine langfristige Behandlung bei rezidivierenden depressiven Episoden oder bei hohem Rezidivrisiko sinnvoll ist, werden AD häufig unbegründet über Jahre verordnet; dieser Anteil soll einer neuen Studie zu Folge bei 30-50% liegen. Damit verbunden sind Absetzprobleme, die häufig nicht von einem Krankheitsrückfall abzugrenzen sind, mit der Folge einer AD-Weiterverordnung. Die meisten depressiven Patienten wenden sich zunächst an ihren Hausarzt, der im Regelfall auch die ersten Behandlungsmaßnahmen einleitet, die durch evidenzbasierte nationale und internationale Leitlinien unterstützt werden.