3. Therapie einer depressiven Störung

Allgemeine Behandlungsziele für Patienten mit depressiven Störungen sind:

  •      die Symptome der depressiven Störung zu vermindern und letztlich eine vollständige Remission zu erreichen 
  •      die Mortalität zu verringern, insbesondere Suizide zu verhindern 
  •      die berufliche und psychosoziale Leistungsfähigkeit wieder herzustellen
  •      die Wahrscheinlichkeit für einen direkten Rückfall oder eine spätere Wiedererkrankung zu reduzieren
  •      Verbesserung der Lebensqualität sowie der psychosozialen Leistungsfähigkeit und Teilhabe
  •      wenn keine Besserung erreicht werden kann, dann Verschlimmerung zu verhüten

Leichte bis mittelschwere depressive Episoden werden häufig in der hausärztlichen Praxis behandelt. Ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sollte immer einbezogen werden, wenn eine mittelschwere bis schwere Symptomatik vorliegt, bei ausbleibender Besserung nach mehr als 6-wöchiger Behandlung, bei unklarer psychiatrischer Differentialdiagnostik oder komorbiden psychiatrischen Störungen. 
Eine Indikation zu einer stationären psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung besteht bei:

  •      akuter suizidaler Gefährdung oder Fremdgefährdung
  •      der Gefahr der depressionsbedingten Isolation und anderen schwerwiegenden psychosozialen Faktoren
  •      den Therapieerfolg massiv behindernden äußeren Lebensumständen
  •      Therapieresistenz gegenüber ambulanten Therapien
  •      der Gefahr einer weiteren Chronifizierung
  •      so schweren Krankheitsbildern, dass die ambulanten Therapiemöglichkeiten nicht ausreichen
     

3.1 Behandlungsphasen

Die Behandlung einer Depression, insbesondere wenn es sich um eine rezidivierende Depression handelt, lässt sich grundsätzlich in drei Phasen gliedern:

  • die Akuttherapie
  • die Erhaltungstherapie
  • die Rezidivprophylaxe

Akuttherapie: Diese Behandlungsphase soll den Leidensdruck lindern, die Symptome behandeln und möglichst eine weitestgehende Remission erreichen sowie die berufliche und psychosoziale Leistungsfähigkeit und Teilhabe wiederherstellen und die Mortalität beherrschen.

Erhaltungstherapie: Die Beendigung der Behandlung direkt nach einer akuten depressiven Episode ist mit einer hohen Rückfallgefahr verbunden. Eine Weiterführung der Therapie soll den oft noch instabilen Zustand des Patienten stabilisieren und das Rückfallrisiko reduzieren. Es wird deshalb empfohlen, bei alleiniger Pharmakotherapie noch 6 bis 12 Monate nach Remission nachzubehandeln, bei alleiniger Psychotherapie mindestens 12 Monate nach Remission. Bei fehlender Indikation für eine Rezidivprophylaxe sollte die Medikation nach Ende der Erhaltungstherapie ausgeschlichen werden.

Rezidivprophylaxe: Bei Patienten mit erhöhtem Rückfallrisiko (2–3 oder mehr depressiven Episoden) und bedeutsamen funktionellen Einschränkungen in den letzten 5 Jahren wird die Fortführung der Einnahme des Antidepressivums mindestens 2 Jahre lang zur Langzeitprophylaxe empfohlen.
 

3.2    Therapeutische Optionen

In Abhängigkeit vom Schweregrad und von der Erkrankungsphase kommen zur Behandlung depressiver Störungen verschiedene Optionen in Betracht, die einzeln oder in Kombination eingesetzt werden können. 
•    Hilfe zur Selbsthilfe und Stärkung von Selbstmanagement-Fähigkeiten durch Psychoedukation, Bibliotherapie, niederschwellige gesprächsbasierte Interventionen (Psychosomatische Grundversorgung)
•    Therapeutisch begleitete Internet – und mobil basierte Interventionen (IMI), die im Rahmen der Selbsthilfe zur Unterstützung der Behandlung eingesetzt werden können. Bei der Auswahl von sog. DIGA’s (digitale Gesundheitsanwendungen) kann das BfArM- Verzeichnis (https://diga.bfarm.de/de) eine erste Orientierung bieten einschließlich der Evidenzbasis der jeweiligen DIGA. 
•    Psychotherapie
•    Medikamentöse Therapie
•    Neuro- sowie hirnstimulatorische Verfahren (u.a. Elektrokonvulsionstherapie, repetitive transkranielle Magnetstimulation)
•    Psychosoziale Interventionen (Ergo- oder Soziotherapie)
•    unterstützende Maßnahmen (u.a. Sport- und Bewegungstherapie, Lichttherapie, Schlafentzugstherapie)


Schematische Darstellung der Behandlungsoptionen bei einer leichten, mittelgradigen sowie schweren Depression (Quelle: Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression).

Akuttherapie leichtgradiger depressiver Störungen:

 

Akuttherapie einer mittelgradigen und schweren Depression:

 

3.2.1    Pharmakotherapie

Vor Beginn einer medikamentösen Therapie mit einem Antidepressivum sollte ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit dem Patienten, evtl. auch unter Einbeziehung von Angehörigen, erfolgen. Bei der Aufklärung über Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten sollen die unterschiedlichen Optionen mit ihren Vor- und Nachteilen umfassend und in verständlicher Form dargestellt werden. 
 

Die Aufklärung sollte einige wesentliche Aspekte für die jeweilige Intervention beinhalten.

  •      Erläuterung des Behandlungsablaufs
  •      Darstellung des zu erwartenden Nutzens der Behandlung
  •      Hinweis auf eine Wirklatenz und ein mögliches Nichtansprechen auf die Therapie 
  •      Erläuterung der Wirkmechanismen der Behandlung
  •      Erläuterung der Nebenwirkungen und ggf. zu ergreifender Maßnahmen
  •      Bedenken gegenüber Antidepressiva und/oder Psychotherapie thematisieren 

Folgende Kriterien können u.a. bei der Auswahl eines Antidepressivums eine Rolle spielen:

  •      Patientenpräferenz (Darreichungsform, Akzeptanz des UAW-Profils, mögliche Anwendungserfahrungen)
  •      Sicherheits- und Interaktionsprofil (Nebenwirkungspotential, Suizidrisiko, Interaktionen bei gewissen (somatischen) Vorerkrankungen, Alter des Patienten)
  •      Komorbidität und Komedikation (Kontraindikationen, Gefahr von Arzneimittelinteraktionen, potenziell negative oder auch positive Effekte auf die Komorbidität*)

Exkurs Erwünschte Nebenwirkungen (*): 
Nebenwirkungen einer antidepressiven Substanz können auch ausgenutzt werden, um Teilsymptome der Depression zu behandeln. Insbesondere trifft dies für Schlafstörungen zu, die mit einem sedierenden Antidepressivum verbessert werden können, ohne ein zusätzliches Schlafmittel einsetzen zu müssen.

Wirkstoffgruppen zur Behandlung der Depression

Antidepressiva werden nach ihrer chemischen Struktur und ihrem postulierten Wirkmechanismus gegliedert. Innerhalb einer Gruppe sind das Wirkungs- und Verträglichkeitsprofil zwischen den einzelnen Substanzen im Regelfall in hohem Maße vergleichbar. Ein Wechsel zwischen verschiedenen Medikamenten einer Substanzgruppe macht normalerweise keinen Sinn. 
 

3.2.1.1    Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehmmer (SSRI)


3.2.1.2    Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSNRIs)


3.2.1.3    Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA) / auch nicht selektive Monoamin-Wiederaufnahmehemmer (NSMRI)


3.2.1.4    Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer)


3.2.1.5    Alpha-2-Rezeptor-Antagonisten


3.2.1.6    Selektiver Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer


3.2.1.7    Melatonin-Rezeptor-Agonist

Agomelatin ist ein Serotonin-5-HT2 Rezeptor- Antagonist und hat außerdem agonistische Effek-te auf Melatoninrezeptoren (MT1/ MT2). Die Substanz wirkt antidepressiv, schlaffördernd und normalisiert den zirkadianen Rhythmus, der bei Depressionen gestört sein kann.
Gemäß den Fachinformationen der Hersteller wurde die Wirksamkeit und Sicherheit bei älteren Patienten nur bis zum Alter = 75 Jahren belegt. Bei Patienten > 75 Jahren konnte eine Wirksamkeit nicht belegt werden, weshalb Agomelatin bei Patienten dieser Altersgruppe nicht angewendet werden soll. Bei mit Agomelatin behandelten Patienten wurden Fälle von Leberschädigung berichtet, darunter Leberinsuffizienzen, die bei Patienten mit Risikofaktoren für eine Leberschädigung tödlich verlaufen sind oder in Folge eine Lebertransplantation nach sich zogen. Vor und während einer Behandlung mit Agomelatin sind regelmäßige Leberwertkontrollen erforderlich. Für Patienten, bei denen die Transaminasewerte das 3-fache des oberen Normbereichs überschreiten ist Agomelatin kontraindiziert.
 

3.2.1.8    Weitere antidepressiv wirksame Substanzen

Johanniskraut (Hypericum perforatum): Bei Johanniskrautpräparaten handelt es sich um Pflanzenextrakte deren Wirkprinzip nicht vollständig geklärt ist. Klinisch relevante Interaktionen mit gängigen Arzneimitteln schränken die Anwendbarkeit besonders für ältere und multimorbide Patienten ein. Studien, die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Johanniskraut systematisch untersuchten, weisen häufig eine unzureichende oder allenfalls befriedigende methodische Qualität auf. Auch eine 2023 publizierte Metaanalyse laut der Johanniskraut gegenüber SSRI’s in der Behandlung von leichten und mittelschweren Depressionen als mindestens ebenso effektive und nebenwirkungsärmere Alternative zu SSRI eingeschätzt wird, ist in ihrer Aussagekraft erheblich eingeschränkt, da die Qualität der insgesamt 14 eingeschlossenen Studien nicht bewertet wurde. Zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sind nur Präparate verordnungsfähig, deren Wirkstoffgehalt standardisiert ist und die zur Behandlung von leichten bis mittelschweren depressiven Episoden zugelassen sind. Für diese Präparate besteht eine Verschreibungspflicht. Neben den verschreibungspflichtigen Präparaten existieren zudem noch rezeptfreie apothekenpflichtige Präparate mit Zulassung zur Behandlung depressiver Verstimmungen sowie leichter Depressionen (OTC-Arzneimittel). Vom Erwerb und Einsatz freiverkäuflicher, nicht apothekenpflichtiger und nicht standardisierter Präparate zur Behandlung von depressiven Erkrankungen ist abzuraten.

Trazodon ist ein Antagonist an Serotonin-5-HT2 Rezeptoren und in höherer Dosierung zusätzlich ein Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer. Ferner wirkt es schwach als a-2-Rezeptorantagonist sowie blockierend auf Histamin-1-Rezeptoren. Eine stark ausgeprägte Affinität zu zentralen Alpha1-Rezeptoren sowie die relativ schwache antagonistische Affinität zu H1-Rezeptoren sind wahrscheinlich für die sedierenden Eigenschaften von Trazodon verantwortlich Bereits in geringen Dosierungen wirkt Trazodon stark sedierend. 

Tianeptin erhöht im Gegensatz zu anderen Antidepressiva nicht die intrasynaptische Serotoninkonzentration, sondern verringert sie, indem es die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt in das präsynaptische Neuron fördert.

Lithiumsalze werden im engeren Sinn nicht zu den Antidepressiva gezählt. Das Wirkprinzip beruht auf einer komplexen Beeinflussung der intrazellulären Signaltransduktion mit Folgeeffekten auf die Neurotransmitterregulation und die Genexpression. In der Depressionsbehandlung sind die Prophylaxe der bipolaren affektiven Störung (auch im Rahmen schizoaffektiver Psychosen) und Episoden einer Major Depression, Behandlung manischer Episoden, die akut-antidepressive Behandlung im Rahmen der Lithiumaugmentation, die akut-antidepressive Behandlung im Rahmen einer Lithium-Monotherapie und die antisuizidale Wirksamkeit von Bedeutung. Zahlreiche Studien zeigen einen deutlichen suizidalitätsreduzierenden Effekt. Eine spezielle Zulassung zur Vorbeugung von Suiziden oder Suizidversuchen hat Lithium aber nicht. Zahlreiche Studien, Übersichtsarbeiten und Metaanalysen belegen schließlich die Wirksamkeit von Lithium in der Rezidivprophylaxe.

Esketamin blockiert den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDAR) und hemmt hierdurch die Glutamatfreisetzung. Zugelassen ist es in Kombination mit einem SSRI oder SNRI bei Erwachsenen mit therapieresistenter Major Depression, die in der aktuellen mittelgradigen bis schweren depressiven Episode auf mind. zwei unterschiedliche Therapien mir Antidepressiva nicht angesprochen haben, sowie in Kombination mit einer oralen antidepressiven Therapie bei erwachsenen Patienten mit einer mittelgradigen bis schweren Episode einer Major Depression als akute Kurzzeitbehandlung zur schnellen Reduktion depressiver Symptome, die nach ärztlichem Ermessen einem psychiatrischen Notfall entsprechen. Es gilt zu beachten, dass die Entscheidung zur Verordnung des Arzneimittels von einem Psychiater getroffen werden muss und die Anwendung durch den Patienten unter der direkten Aufsicht von medizinischem Fachpersonal zu erfolgen hat. Die für die nach Anwendung von Esketamin erforderliche Nachbeobachtung über 40 Minuten vorgesehene GOP kann nur von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, für Nervenheilkunde, Neurologie und Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie berechnet werden. Daher empfiehlt es sich, dass auch Folgeverordnungen nur von diesen Fachgruppen ausgestellt werden.
Der Wirkstoff Esketamin hat bei der Behandlung von Erwachsenen mit schwerer therapieresistenter Depression in einem zweiten Nutzenbewertungsverfahren einen beträchtlichen Zusatznutzen mit Beschluss des G-BA vom 21.09.2023 zugesprochen bekommen. Die erneute Nutzenbewertung von Esketamin beruht auf klinischen Daten der ESCAPE-TRD-Studie, einer offenen, randomisierten, kontrollierten und multizentrische Studie, in welcher Esketamin mit Quetiapin retard, jeweils in Kombination mit einem SSRI oder SNRI, verglichen wurde. Für das Gesamtergebnis seien Vorteile beim Erreichen einer Symptombesserung bzw. -freiheit sowie in der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und bei den Nebenwirkungen relevant gewesen. Hierzu ist anzumerken, dass mit Ausnahme des 2015 zugelassenen und im August 2016 durch den Hersteller vom Markt genommenen Vortioxetin bisher kein weiteres Antidepressivum das Verfahren der Frühen Nutzenbewertung durchlaufen hat, da alle zum sog. „Bestandsmarkt“ zählen, also vor 2011 zugelassen wurden. Zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmen wurde eine bundesweite Praxisbesonderheit vereinbart. Diese gilt rückwirkend zum 21.09.2023 ab dem ersten Behandlungsfall und umfasst beide zugelassene Anwendungsgebiete (https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/arzneimittel/amnog_praxisbesonderheiten/21025pb20230921.pdf).

Bei einer Therapie mit Esketamin gilt es, neben der engen Indikationsstellung und der notwendigen Aufsicht durch medizinisches Personal auch die hohen Kosten der Therapie zu beachten (Jahrestherapiekosten: 6.835,48 € - 40.934,32 €). 
 

3.2.2    Psychotherapie und nicht-medikamentöse Therapieformen

In Deutschland existiert eine Vielzahl unterschiedlicher psychotherapeutischer Verfahren, für deren Anerkennung in Deutschland jedoch strenge Kriterien gelten. Im ambulanten Bereich werden daher nur vier Verfahren durch die GKV bezahlt („Richtlinienverfahren“):

  •      Verhaltenstherapie bzw. kognitive Verhaltenstherapie
  •      Analytische Psychotherapie 
  •      Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
  •      Systemische Therapie

Für einige weitere Methoden wurde zwar vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie die wissenschaftliche Anerkennung im Bereich der affektiven Störung festgestellt, sie sind aber im Rahmen der ambulanten Versorgung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse erstattungsfähig. Psychotherapie kann als Einzeltherapie, als Gruppentherapie oder als Kombination aus Einzel- und Gruppentherapie durchgeführt werden, bei der systemischen Therapie auch im Mehrpersonensetting.
 

3.2.2.1    Verhaltenstherapeutische Psychotherapien

Die Verhaltenstherapie (VT) depressiver Erkrankungen geht davon aus, dass ein Mangel an positiver Verstärkung und gelernte Hilflosigkeit sowie andere depressionsfördernde Verhaltensmuster für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer depressiven Störung verantwortlich sind. Entsprechend zielt die VT darauf ab, ein verbessertes Problemlöse-Repertoire zu entwickeln, positive Aktivitäten zu fördern, Entspannungstechniken zu vermitteln und soziale Fertigkeiten zu verbessern. Die kognitive Therapie nach Beck geht davon aus, dass das Denken Depressiver durch negative Gedanken bezüglich des Selbst, der Umwelt und der Zukunft (kognitive Triade) durch automatische negative Gedankenketten bestimmt ist. Durch Veränderung dieser dysfunktionalen Denkschemata soll eine Besserung depressiver Symptome erreicht werden.
Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist das am häufigsten ambulant untersuchte Psychotherapieverfahren. In Metaanalysen zeigt sich eine Wirksamkeit der KVT zur Behandlung depressiver Symptome, die unspezifischen Verfahren möglicherweise überlegen ist und in den meisten Vergleichen einer antidepressiven Therapie zumindest nicht nachsteht. In fast allen Untersuchungen ist die Kombination von KVT mit Medikation einem Einsatz eines jeweiligen Behandlungsverfahrens alleine deutlich überlegen. 
 

3.2.2.2    Psychodynamische Psychotherapien

Aus psychoanalytisch/psychodynamischer Sicht werden Depressionen oft durch Verlust- und Kränkungserlebnisse ausgelöst, die wegen einer konflikthaften inneren Situation nicht angemessen verarbeitet werden können.
In der analytischen Psychotherapie werden diese Erlebnisse innerhalb eines regressionsfördernden Settings reflektiert bearbeitet. Bei der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie finden darüber hinaus auch konkrete Konfliktaktualisierungen in der aktuellen Lebenssituation Beachtung. Parallel zur Bewusstmachung der Konflikte wird die Nutzung und Stärkung vorhandener Ressourcen gefördert. Zu tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapien liegen deutlich weniger Studienergebnisse als zur KVT vor. Metaanalysen bestätigen die Wirksamkeit von psychodynamischen Kurzzeittherapien. Gelegentlich wird eine schwache Überlegenheit von kognitiven Techniken im Vergleich zu psychodynamischen Therapien beschrieben, was jedoch auch auf die geringere Anzahl von untersuchten Patienten bei psychodynamischen Therapien zurückzuführen sein kann. Die Studienlage zur Wirksamkeit von analytischen Langzeitpsychotherapien bei depressiven Erkrankungen ist schwach.


3.2.2.3    Systemische Therapie

Bei der Systemischen Therapie liegt der Fokus auf dem Kontext psychischer Störungen, weshalb Mitglieder des für die Patienten bedeutsamen sozialen Systems häufig direkt oder indirekt in die Behandlung einbezogen werden. Ein Schwerpunkt der Systemischen Therapie ist dabei, die Stärken und Ressourcen der Patienten und der Angehörigen zu nutzen, um ungünstige Verhaltensweisen, Interaktionsmuster und Bewertungen zu verändern, hilfreiche Kommunikations- und Beziehungsmuster zu unterstützen sowie gemeinsam Lösungen für die bestehenden Probleme und Konflikte zu entwickeln.


3.2.2.4    Neurostimulatorische und Hirnstimulatorische Verfahren

Im stationären Bereich stehen verschiedene Stimulationsverfahren zur Verfügung, die im ambulanten Bereich im Regelfall nicht eingesetzt werden können.
Die Anwendung beruht dabei zumindest teilweise auf pathophysiologischen Kenntnissen psychiatrischer Erkrankungen und zielt u.a. auf die Normalisierung von Dysregulationen im Bereich des präfrontalen Kortex ab.
Dazu zählen konvulsive Verfahren (Elektrokonvulsionstherapie, Magnetkonvulsionstherapie), nicht-invasive transkranielle Verfahren (repetitive transkranielle Magnetstimulation, Transkranielle Gleichstromsimulation) und invasive Verfahren (Tiefe Hirnstimulation, Vagusnerv-Stimulation). 


3.2.2.5    Unterstützende therapeutische Maßnahmen

Zusätzlich stehen noch andere unterstützende Therapieverfahren zur Verfügung, die jedoch keinesfalls als gleichwertiger Ersatz für spezifische Therapien gesehen werden können.
Körperliches Training kann aus klinischer Erfahrung heraus empfohlen werden, um das Wohlbefinden zu steigern und milde depressive Symptome zu lindern. Patient*innen ohne Kontraindikation für körperliche Belastungen sollen zur Teilnahme an einem strukturierten und supervidierten körperlichen Training motiviert und bei der Umsetzung unterstützt werden. 
Ergotherapie zielt auf die Wiederherstellung und den Erhalt von Handlungsfähigkeit, Teilhabe und Lebensqualität in wichtigen Lebensbereichen ab. Im ambulanten Bereich kann sie nach den Heilmittelrichtlinien verordnet werden. Insbesondere bei langen Verläufen kann sie erwogen werden.
Soziotherapie und häusliche psychiatrische Krankenpflege können bei schwerer und langanhaltender depressiver Symptomatik verordnet werden, wenn die Patienten zu einer selbständigen Lebensführung nicht in der Lage sind und insbesondere bezüglich Tagesstrukturierung und sozialen Angelegenheiten intensive Hilfe benötigen. Diese unterstützenden Maßnahmen sollten jedoch Schwerstkranken vorbehalten bleiben.
Lichttherapie hat zum Ziel, den zirkadianen Rhythmus und damit den Serotonin- und Melatonin Spiegel zu beeinflussen.
Wachtherapie: Aus klinischer Sicht kann das Erleben milder positiver oder hypomaner Stimmungszustände nach Schlafentzug hilfreich sein, um depressive Episoden zu durchbrechen und andere Stimmungszustände erlebbar zu machen.
Selbsthilfe und Peer Support: Patienten und Angehörige sollen über Selbsthilfe- und Angehörigenangebote informiert und, wenn angebracht, zur Teilnahme motiviert werden.
 

3.3    Maßnahmen bei Nichtansprechen und Therapieresistenz 

Zu Beginn einer medikamentösen Therapie einer depressiven Episode wird in den ersten 4 Behandlungswochen ein wöchentliches Monitoring empfohlen, danach in Intervallen von 2 – 4 Wochen und nach 3 Monaten in längeren Intervallen. Bei Auftreten akuter und schwerwiegender Nebenwirkungen muss auch eine schnellere Kontaktaufnahme, z.B. telefonisch, möglich sein. 
Sprechen Patienten nach vier Wochen nicht auf die Therapie an, sollen zunächst Ursachen für diesen Verlauf evaluiert werden. Zu diesen Ursachen gehören insbesondere:

  •      Fehldiagnose einer depressiven Störung
  •      eine nicht ausreichende Mitarbeit des Patienten
  •      eine nicht angemessene Dosis und ein zu niedriger Serumspiegel (TDM)
  •      somatische und psychische Komorbidität sowie eine depressiogene Komedikation

Neben differentialdiagnostischen Maßnahmen gehören die gründliche Anamnese mit Abfrage der Adhärenz und Komedikation sowie ggf. eine Kontrolle der Serumspiegel zur guten klinischen Praxis, um die Ursache von Nichtansprechen zu evaluieren.
Nach 3 – 4 Wochen soll eine genaue Wirkungsprüfung erfolgen und entschieden werden, ob eine Änderung des Therapieregimes sinnvoll ist. Bei Patienten mit sehr schweren Erkrankungen oder bei solchen, die schon mit mehreren Antidepressiva vorbehandelt waren, sowie älteren Patienten mit bisweilen häufig verzögertem Ansprechen ist ein deutlicher Effekt häufig erst nach ca. 6 Wochen beurteilbar. Die Umstellung einer nicht-wirksamen Behandlung sollte aber nicht länger hinausgezögert werden. Neben medikamentösen Behandlungsstrategien wie der Kombination, Augmentation oder dem Wechsel des Antidepressivums sollte zusätzlich eine Psychotherapie angeboten werden. 
 

3.3.1    Wechsel des Antidepressivums

Reagiert ein Patient auf eine initial gegebene Medikation nicht oder nur in ganz geringem Umfang oder kommt es zu nicht tolerablen Nebenwirkungen, kann ein einmaliger Wechsel auf ein Antidepressivum mit anderem Wirkmechanismus angeboten werden. Bei Wechsel des Antidepressivums soll wegen möglicher Wechselwirkungen eine schrittweise Aufdosierung des neuen und ein ausschleichendes Absetzen des alten Antidepressivums erfolgen.


3.3.2    Dosiserhöhung und Augmentation

Patienten, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, kann eine Augmentation angeboten werden. Zugelassen sind hierbei Lithium sowie das Antipsychotikum Quetiapin. 
Der Einsatz weiterer Antipsychotika (wie Aripiprazol, Olanzapin oder Risperidon) im Rahmen einer Depressionsbehandlung mit Augmentation stellt einen Off-Label-Use dar.


3.3.3    Kombination mit einem weiteren Antidepressivum

Patienten, die nicht auf eine Monotherapie mit Antidepressiva ansprechen, sollte eine Kombination von SSRI, SNRI oder TZA einerseits mit Mianserin oder Mirtazapin oder Trazodon andererseits angeboten werden.