3. Prinzipien der Wundbehandlung

Eine Lokaltherapie ohne Therapie der Ursachen einer chronischen Wunde ist zum Scheitern verurteilt. 
Das heißt: Beim Ulcus cruris venosum ist eine wirksame Kompressionstherapie unerlässlich, beim Diabetischen Fußsyndrom und beim Dekubitus kommt es nicht zur Wundheilung ohne effektive Druckentlastung, bei einer unzureichenden arteriellen Durchblutung muss revaskularisiert werden. Auch periphere Ödeme unterschiedlichster Ursache sind zu behandeln (z. B. Herzinsuffizienz, Lymphödem, Albuminmangel).

Unabhängig von der Ursache einer Wunde gilt: Soll eine Wunde zur Abheilung gebracht werden, muss ein keimarmes, warmes und feuchtes Wundmilieu geschaffen und erhalten werden. Mit welchem Verbandmaterial die Wunde versorgt wird, hängt von den Gegebenheiten der Wunde selbst ab (infiziert/reizlos, viel/wenig Wundexsudat, Umgebungshaut etc.). Da es sich meist um eine langwierige Therapie handelt, sollte man darauf achten, dass diese den Patienten möglichst wenig beeinträchtigt. Dies bedeutet z. B. das Verbandswechselintervall möglichst zu verlängern oder für den Patienten verträgliche Verbandmittel zu benutzen. Gerade auch aufgrund der meist längeren Therapiedauer ist auf eine wirtschaftliche Verordnungsweise zu achten. Zudem sollte eine ausreichende Schmerztherapie erfolgen.

Bei der Therapie chronischer Wunden handelt es sich um eine ausgesprochen anspruchsvolle ärztliche Tätigkeit, die nicht auf ein reines „lokales Wundmanagement“ reduziert werden darf. 
Erforderlich ist vielmehr ein interdisziplinäres und interprofessionelles Vorgehen, bei dem auch gut ausgebildetes Pflege- und Assistenzpersonal eine wichtige Rolle spielt. Gemäß der HKP-RL besteht die Möglichkeit, häusliche Krankenpflege durch spezialisierte Pflegedienste in der Häuslichkeit oder in Wundzentren (bei Bedarf für eine Behandlung außerhalb der Häuslichkeit) zu veranlassen (siehe auch Anlage Nr. 31a zur HKP-RL)
Auch in Kooperation mit einem „Wundmanager“ ist der Arzt für die Diagnostik und die Festlegung des Therapiekonzepts verantwortlich. Er wählt die für die Lokaltherapie erforderlichen Materialien aus. Die Verbandwechsel können an kompetentes Assistenzpersonal delegiert werden. Die Verantwortung für die entstehenden Verbandsmittelkosten liegt dabei immer beim Arzt. 
 

3.1 Behandlungsziele

Auch in der Wundbehandlung muss man sich über das Ziel der Behandlung klar werden. Entsprechend dieser Zielsetzung werden dann Diagnostik und Therapie gesteuert. Das Behandlungsziel sollte in Absprache mit dem Patienten festgelegt werden, da dessen Mitarbeit unbedingt erforderlich ist, um das Ziel zu erreichen. Arzt und Pflegepersonal leiten den Patienten zu einem wundheilungsfördernden Verhalten an. Kann der Patient nicht von der Mitarbeit überzeugt werden (fehlende Adhärenz), ist dies zu dokumentieren.
In den meisten Fällen ist die Zielsetzung eine kurative, d. h. die Wunde soll durch die Behandlung zur Abheilung gebracht werden. Entsprechend werden alle Mittel der Diagnostik und Therapie ausgeschöpft. 
In einigen Fällen jedoch beschränkt man sich darauf, die Wunde mit einer palliativen Zielsetzung zu behandeln. Dies bedeutet vor allem, die subjektiven Beschwerden des Patienten zu lindern. Eine palliative Behandlung wird dann erfolgen, wenn z. B. die übliche Diagnostik/Therapie aufgrund anderer Erkrankungen nicht möglich ist oder eine maligne Grunderkrankung der Ulzeration zugrunde liegt. Die Wunde sollte in diesem Fall so versorgt werden, dass sie nicht zu einem ausgedehnten Infekt führt, dass möglichst keine Schmerzen auftreten, eine starke Geruchsbelästigung vermieden und eine möglichst geringe Verbandswechselfrequenz erreicht werden.
Während der oft langwierigen Behandlung darf die Lebensqualität des Patienten nicht aus den Augen verloren werden. Diese ist möglicherweise eingeschränkt durch Schmerzen und Immobilität oder auch durch lange Krankenhausaufenthalte, Tragen von speziellem Schuhwerk oder häufige Verbandwechsel. Die Behandlung sollte möglichst wenig Einschnitte in die häuslichen oder beruflichen Lebensgewohnheiten mit sich bringen. 
Die für die Heilung notwendigen Einschnitte in der Lebensqualität sollten den Patienten und ggf. pflegenden Angehörigen oder Pflegepersonal verständlich erklärt werden und bei Folgeterminen wiederholt angesprochen werden.
 

3.2 Physiologie der Wundheilung

Der Begriff Wundheilung bezeichnet Vorgänge zur Regeneration zerstörten Gewebes bzw. zum Verschluss einer Wunde. Die Wundheilung beginnt mit der Blutstillung und gilt als abgeschlossen, wenn die Wundfläche vollständig epithelisiert ist und sich belastbares Bindegewebe gebildet hat.

Man unterscheidet drei Phasen der Wundheilung:

  1. Inflammatorische Phase – Exsudation
    In der Exsudations- oder Entzündungsphase erfolgt die Wundreinigung mit Beseitigung von nekrotischem Gewebe und Bakterien. Im Rahmen dieser Entzündungsreaktion kommt es u.a. zu einer verstärkten Exsudatbildung. Das Wundexsudat enthält Leukozyten, Entzündungsmediatoren und Protein verdauende Enzyme, z. B. Matrix-Metalloproteinasen (MMPs). Die inflammatorische Phase ist gekennzeichnet durch den Aufbau einer vorläufigen extrazellulären Matrix.
     
  2. Proliferative Phase – Granulation
    Durch die Stimulation der Zellproliferation, der Synthese der extrazellulären Matrix (aus Kollagen) und der Angiogenese wird Granulationsgewebe aufgebaut. Der Wundgrund zeigt ein vitales, gut durchblutetes Gewebe mit gekörnter Oberfläche. Dieser Körnung entsprechen Gefäßknospen, in deren unmittelbarer Umgebung Bindegewebsneubildung stattfindet. Die Granulationsphase ist gekennzeichnet durch Kapillarsprossung und Fibroblastenaktivität.
     
  3. Reparative Phase – Epithelisierung
    In der Epithelisierungsphase schiebt sich vom Wundrand her blass-rosiges Epithel über die Wunde. Gleichzeitig sorgen Myofibroblasten für eine Wundkontraktion und beschleunigen so den Wundverschluss. In dieser Phase produziert die Wunde eher wenig Exsudat. 
    Nach der Epithelisierung ist die Wunde noch nicht vollständig mechanisch belastbar, dazu bedarf es einer mehrere Wochen bis Monate dauernder Umbau- und Reifungsphase mit Bildung von belastbaren Bindegewebsstrukturen (Maturation).

Oft finden sich in einer Wunde Bezirke mit unterschiedlichen Phasen der Wundheilung nebeneinander.
 

3.3 Faktoren, die eine Wundheilung verhindern

Faktoren, die die die Wundheilung negativ beeinflussen sind zu unterteilen in systemische und lokale Faktoren.

Zu den systemischen Faktoren zählen:

  • herabgesetzte Immunantwort z.B. bei schlecht eingestelltem Diabetes
  • Erkrankungen der Blutgefäße mit herabgesetzter Sauerstoffversorgung
  • verminderte Energiebereitstellung bei Stoffwechselerkrankung / Mangelernährung
  • Mangel an Gerinnungsfaktoren
  • Anämie
  • Arzneimittel (Zytostatika, Kortikoide, Antikoagulantien…)

Lokale Faktoren sind:

  • Fremdkörper, abgestorbenes Gewebe
  • „kritische Kolonisation“ oder Infektion
  • Druck/Scherkräfte
  • Hypothermie
  • Austrocknung

Bei vielen betroffenen Patienten finden sich mehrere Faktoren, die zunächst erkannt und dann bestmöglich geändert werden müssen.