4.2 Lokaltherapie in der Exsudationsphase

In der Reinigungsphase wird physiologischerweise verstärkt Wundexsudat gebildet. Auch Wundinfektion und Ödembildung im Rahmen von CVI, Herzinsuffizienz, Lymphödem oder Albuminmangel führen zu einer verstärkten Exsudatbildung. Diese potentiellen Ödemursachen müssen kausal behandelt werden (Kompression, Herzinsuffizienzbehandlung, Lymphdrainage, eiweißreiche Ernährung). Im Rahmen eines angepassten Verbandsregimes muss die Exsudatbildung aber ebenfalls berücksichtigt werden. Das Ziel muss es sein, die Wunde feucht zu halten, überschüssiges Wundsekret jedoch in das Verbandsmaterial aufzunehmen und die Wundumgebung davon freizuhalten. Dies kann durch Verwendung verschiedener Materialien erfolgen:
Wenn zur Wundbeobachtung (z. B. bei Infektion) tägliche Verbandwechsel erforderlich sind, können je nach Exsudatmenge Mullkompressen oder Saugkompressen zum Einsatz kommen. Die Verwendung von Saugkompressen ist auch dann sinnvoll, wenn wegen einer zu großen Exsudatmenge selbst Hydrokapillarverbände bereits nach einem Tag gewechselt werden müssen.

Grundsätzlich ist im Rahmen der hydroaktiven Wundtherapie der Kontakt des Materials mit der Wundfläche erforderlich. Bei oberflächlichen Wunden bis ca. 5–10 mm Wundtiefe reicht hier in der Regel die Verformbarkeit des Materials (zur Wunde hin) aus. Bei tiefen Wunden ist der Einsatz eines Wundfüllers erforderlich. Hierdurch wird die Verbindung zum Exsudat aufnehmenden Verbandsmaterial hergestellt. Je nach Exsudatmenge ist hierdurch bereits eine Regulierung möglich.
 

4.2.1 Wundfüller


4.2.1.1 Hydrogele

Hydrogele bestehen aus hydrophilen Materialien (z. B. Carboxymethylcellulose, modifizierte Stärke) mit einem Wassergehalt von 70–95 %. Die Gele geben Feuchtigkeit an die Wunde ab und unterstützen somit die Autolyse von Nekrosen und Belägen. Sie kommen deshalb zum einen in der Reinigungsphase zum Einsatz. Zum anderen dienen sie in der Granulationsphase dazu, ein feuchtes Milieu aufrecht zu erhalten. Ist die Wunde durch eine starke Exsudatbildung per se nass, ist die Zugabe eines Hydrogels nicht sinnvoll. Über dem Hydrogel ist immer ein Sekundärverband erforderlich. Hydrogele sind u.a. kombinierbar mit Wundgazen/Kompressen, Schaumstoffen. 
Hydrogelgebinde sind Einmalprodukte und müssen nach Anbruch verworfen werden. Das kleinste Gebinde enthält 6 g. Eine Ausnahme bilden Gele, denen Antiseptika zur Konservierung beigefügt sind.


4.2.1.2 Alginate

Alginate werden aus Braunalgen gewonnen und bestehen aus Alginsäuren. Sie haben eine große Saugkraft und können bis zum 20-fachen des Eigengewichts an Flüssigkeit aufnehmen. Dabei quellen die Alginate auf und bilden ein Gel, das die Wunde feucht hält. Zudem unterstützen sie die Wundreinigung und sind deshalb bei belegten Wunden gut geeignet, um Beläge zu lösen.
Die Alginate wirken über einen Ionenaustausch: Natrium aus dem Wundsekret wird gegen Calciumionen aus dem Alginat ausgetauscht. Mit den Natriumionen werden Wasser und Schadstoffe wie Zelltrümmer, Mikroorganismen und Proteasen ins Alginat aufgenommen und können dann mit dem Alginat aus der Wunde entfernt werden. Die freiwerdenden Calciumionen fördern die Blutstillung.
Alginate kommen zum Einsatz bei stärker sezernierenden Wunden, bei belegten Wunden und auch als Wundfüller, um eine Verbindung des Wundgrundes mit der Wundauflage zu gewährleisten. Alginat können bis zu sieben Tage in der Wunde verbleiben. Sie dürfen nicht in die Wunde tamponiert, sondern nur locker eingelegt werden, da durch die Quellung eine Abflussbehinderung und Drucksteigerung in der Wunde auftreten können. Alginate dürfen den Wundrand nicht überlappen, da Flüssigkeit in einer Alginatkompresse vertikal und horizontal geleitet wird und somit Wundrandmazerationen entstehen können.
Als Sekundärverband eignen sich je nach Wundsituation Kompressen, PU-Schäume, Hydrokolloide oder auch Folienverbände.


4.2.1.3 Hydrofaser

Die Hydrofaser besteht aus Natriumcarboxymethylcellulose (CMC), die technisch so verarbeitet ist, dass sie sofort Flüssigkeit aufnehmen kann und sich dabei in ein formstabiles durchsichtiges Gel umwandelt, das die Fähigkeit besitzt, die Wunde feucht zu halten. Die in der Flüssigkeit vorhandenen festen Bestandteile wie Detritus oder Mikroorganismen werden im Gel aufgenommen und gebunden. Auch unter Kompression bleibt die Flüssigkeit im Gel. Die Hydrofaser kann bis zum 30-fachen des Eigengewichts an Flüssigkeit aufnehmen. Da die Hydrofaservliese die Flüssigkeit nur vertikal leiten, sind sie besonders gut zum Wundrandschutz geeignet. Die Flüssigkeit wird dort aufgenommen, wo sie entsteht, nämlich in der Wunde. Da sich die Flüssigkeit in der Hydrofaserauflage nicht horizontal verteilen kann, bleiben Wundrand und die Wundumgebung trocken. Die Hydrofaser kommt bei gering belegten Wunden zur Sekretaufnahme zum Einsatz. Außerdem eignet sie sich zum Wundrandschutz. Bei dieser Indikation sollte sie den Wundrand um mindestens 1 cm überlappen. Hydrofasern können bis zu sieben Tagen auf der Wunde verbleiben. Als Sekundärverband eignen sich je nach Wundsituation Kompressen, Schaumverbände oder Superabsorber.

Tab. 4: Verordnungsfähigkeit von Wundfüller

Produkt

Verordnungsfähigkeit nach Arzneimittel-Richtlinie

Hydrogele

Ja, in Anlage Va, Teil 2 aufgeführt -

wenn es

-auf Trägermaterial aufgetragen, 

-in mehrschichtig/mehrteilig aufgebauten Wundauflagen eingegliedert ist oder 

- bei formstabiler Aufbereitung der hydroaktiven Substanzen isoliert angewandt wird. 

Sonst nur verordnungsfähig, wenn Produkt (als sonstiges Produkt zur Wundbehandlung) in Anlage V der AM-RL aufgeführt. Übergangsregelung bis Dezember 2025, siehe o. a. Rechtsgrundlage.

Ja, in Anlage Va, Teil 2 aufgeführt

Alginate

Hydrofaser

4.2.2 Exudat-Kontrolle


4.2.2.1 Mullkompressen

Mull ist ein Gewebe aus Baumwolle, das je nach Fadendichte eine feinere oder gröbere Textur hat. Die Saugkapazität wird von der Anzahl der Lagen der Kompresse bestimmt, d. h. je mehr Lagen eine Kompresse hat, desto größer ist die Aufnahmekapazität für Exsudat, Detritus, Mikroorganismen. Die Aufnahme von Flüssigkeiten erfolgt sowohl in die Baumwollfasern (intrakapillär) als auch zwischen den Fasern (interkapillär). Neben der Versorgung von Akutwunden können Mullkompressen auch bei der Versorgung chronischer Wunden zum Einsatz kommen. Dies ist vor allem in der Reinigungsphase mit stärkerer Exsudatbildung der Fall. Wenn die Kompressen mit Wundexsudat durchtränkt sind, bilden sie keine Keimbarriere mehr, daher müssen häufig Verbandswechsel erfolgen. 
Wenn ein täglicher Verbandswechsel erforderlich ist, sind die preiswerten Mull- oder Saugkompressen wirtschaftlich.


4.2.2.2 Distanzgitter

Ein Verkleben von Mullkompressen mit der Wunde muss jedoch unbedingt verhindert werden. Dies kann durch Einbringen eines Distanzgitters (z. B. Fettgaze) zwischen Kompressen und Wundgrund geschehen. Die gitterförmige Struktur erlaubt die Ableitung des Wundsekrets in die Wundauflage. Damit das Sekret das Gitter ungehindert passieren kann, darf es nicht mehrfach übereinandergelegt werden, da der Durchtritt des Sekrets dadurch erschwert oder verhindert werden kann, so dass es zum Verhalt des Wundsekrets auf der Wunde kommt.


4.2.2.3 Saugkompressen (Absorberkompressen)

Saugkompressen sind mehrschichtig. Im Inneren haben sie einen hoch saugfähigen Kern aus Zellstoff oder Watte. Dieser ist umschlossen von einer Hülle, die die Flocken im Inneren dicht einschließt. Diese Hülle sorgt zudem für eine rasche Ableitung des Exsudats in den Kern der Saugkompresse. Die äußere Hülle besteht aus einem glatten Vlies mit geringer Verklebungsneigung. Sind Ober- und Unterseite weiß, sind die Kompressen stapelbar und die Saugkraft erhöht sich. Ist die eine Seite farbig, ist dies nicht möglich, da eine feuchtigkeitsabweisende Schicht eingebracht wurde, um ein Auslaufen von Flüssigkeit zu verhindern („Auslaufbremse“).
Absorberkompressen haben eine hohe Saugfähigkeit (6–8x mehr als eine Kompresse derselben Größe), sie sind sehr anschmiegsam und haben gute Polstereigenschaften.
Angewendet werden Saugkompressen bei stark exsudierenden Wunden und täglichem Verbandwechsel. Zudem werden sie gleichzeitig zum Polstern verwendet.

Schwach sezernierende Wunden dürfen nicht mit Saugkompressen versorgt werden, da diese die Wunden austrocknen.

4.2.2.4 Schaumstoffe

Die Schaumstoff-Wundauflagen bestehen aus Polyurethan-(PU-)Schaum unterschiedlicher Dicke und Porengröße. Sie saugen mittels Kapillarkraft Wundsekret auf und können größere Mengen von Flüssigkeit aufnehmen. Die Schäume sind semipermeabel und durchlässig für Wasserdampf und Gase, so dass eine gewisse Menge an Feuchtigkeit über den Verband abdampfen kann. Die Hydropolymere expandieren bei Flüssigkeitsaufnahme und quellen teilweise der Wunde entgegen. So halten sie den wichtigen Kontakt zum Wundgrund. PU-Schaumverbände unterscheiden sich hinsichtlich Geschmeidigkeit, Adhäsionskraft (z. B. Kleberand) oder Exsudatabsorptionsmenge (auch unter Kompression). Das Material soll die Wundränder 2–3 cm überlappen und kann entsprechend zugeschnitten werden. PU-Schäume können bis maximal 7 Tagen belassen werden, sollen aber spätestens dann gewechselt werden, wenn der Sekretfleck etwa die Größe der Wunde erreicht hat. Bei gesättigter Wundauflage sind Mazerationen der Wundumgebung möglich. PU-Schäume sind kombinierbar mit Hydrogelen, Alginaten und Hydrofasern. 

Sonderformen für z. B. Ferse und Steiß sind sind häufig mit höheren Verordnungskosten verbunden. Vor der Verordnung ist zu prüfen, ob eine klassische, kostengünstigere Größe zugeschnitten werden kann.

4.2.2.5 Hydrokapillarverbände / Superabsorber

Hydrokapillarverbände bestehen aus dünnen Hydrokolloiden mit Wundsaugkissen, das den sog. „Superabsorber“ Polyacrylat enthält. Dadurch ist die Aufnahmekapazität im Vergleich zu Polyurethanschaumverbänden deutlich erhöht (bis zum 28-fachen des Eigengewichts). Der Polyacrylat-Superabsorber schließt Wundexsudat auch unter Druck ein. Daher kann er auch unter einer Kompression verwendet werden. Mit Hydrokapillarverbänden werden mäßig bis stark sezernierende Wunden versorgt. Der Verband sollte nach maximal 7 Tagen gewechselt werden. Ein Zuschneiden des Verbandes ist nicht möglich. 

Die hohen Kosten für Spezialprodukte (z. B. Hydrokapillarverbände und PU-Schaum) sind nur dann vertretbar, wenn sie mehrere Tage auf der Wunde verbleiben können. Wenn ein täglicher Verbandswechsel erforderlich ist, sind preiswertere Produkte (Distanzgitter mit Mull- oder Saugkompressen) zu wählen.

Tab. 5: Verordnungsfähigkeit von Produkten zur Exsudatkontrolle

Produkt

Verordnungsfähigkeit nach Arzneimittel-Richtlinie

Für alle verfügbaren Produkte

Ja, in Anlage Va, Teil 1 und Teil 2 aufgeführt