4.1 Wundreinigung
Die wichtigste Maßnahme der lokalen Wundtherapie ist das effektive Wunddebridement mit Entfernung von Fibrinbelägen, gangränösem Gewebe und Fremdkörpern aus einer Wunde. Im weiteren Verlauf ist die regelmäßige mechanische Wundreinigung im Rahmen der Verbandswechsel oftmals ausreichend.
Jede chronische Wunde ist kontaminiert. Eine klinische Bedeutung bekommt die Bakterienbesiedelung aber erst ab einer kritischen Bakterienlast (kritische Kolonisation). Es kann zu einer Behinderung der Wundheilung kommen, ohne dass sich klinische Zeichen einer Infektion finden. Viele Bakterienarten können einen Biofilm bilden, unter dem sie gut geschützt sind z. B. gegen lokal aufgebrachte Antiseptika. Hier ist regelmäßig die mechanische Wundreinigung erforderlich.
Eine Wundinfektion liegt vor, wenn es zu einer immunologischen Reaktion des Wirtsorganismus gekommen ist. Es finden sich die üblichen Entzündungszeichen Rötung, Überwärmung, Schwellung, Schmerz, Funktionseinschränkung. Manchmal ist eine verstärkte Exsudatbildung der einzige Hinweis auf einen in der Tiefe lokalisierten Infekt (z. B. mit Knochenbeteiligung). Die Art des Exsudats kann aufschlussreich sein. Übelriechendes, trübes Exsudat spricht für einen Infekt.
Im Gegensatz zum lokalen Infekt betrifft eine Infektionserkrankung den ganzen Organismus. Dies kann bis zum septischen Krankheitsbild reichen.
4.1.1 Aktive periodische Wundreinigung
In der Regel ist bei jedem Verbandswechsel eine aktive periodische Wundreinigung erforderlich. Dies kann durch Spülung und/oder Wischverfahren und Anwendung von Instrumenten erfolgen.
4.1.1.1 Mechanische Wundreinigung mit Kompressen oder Instrumenten
Wischverfahren: Hierbei wird die Wunde bzw. die Wundumgebung mit sterilen Kompressen oder Tupfern, die mit einer sterilen Wundreinigungslösung (0,9% NaCl, Ringerlösung) getränkt sind, ausgewischt.
Nass-Trocken-Phase: Zur Intensivreinigung von Wunde und Wundumgebung. Nicht bei jedem Verbandswechsel erforderlich. Bei hartnäckigen Wundbelägen und auch zur Reinigung der Haut von ausgedehnten Verschmutzungen durch Wundexsudat und Verbandsmittelresten und zur leichteren Beseitigung von Hautschuppen empfiehlt sich die Nass-Trocken-Phase. Die Nassphase erfolgt mit sterilen Kompressen, die mit einer sterilen Wundspüllösung getränkt sind. Einwirkzeit 15-20 min.. Bei einer lokalen Infektion ist hier auch der Einsatz eines Antiseptikums möglich. Anschließend mechanische Reinigung. Die Trocken-Phase dient der Erholung der Haut, sie dauert 5-15 min.. Wunde und Umgebungshaut werden mit sterilen Kompressen abgedeckt, die überschüssige Flüssigkeit aus der Haut aufnehmen sollen.
Bei der Nass-Trocken-Phase sind tensidhaltige Spüllösungen (siehe unten) von Vorteil, da sie die Auflösung von Belägen und Verkrustungen unterstützen.
Instrumente: Die Beläge werden mittels steriler Pinzette und Schere entfernt, gelegentlich kommen auch Skalpell, scharfer Löffel oder Kürette zur Anwendung.
4.1.1.2 Wundspülung mit Spüllösung
Die Applikation einer Wundspüllösung unter erhöhtem Druck auf die Wundoberfläche führt zur Ablösung avitaler Gewebeanteile und von Biofilm. Zudem wird der Zug- und Druckwirkung durch die Schwingungen bei der Applikation der Flüssigkeit eine Förderung der Wundheilung durch Verbesserung der Durchblutung und Mikrozirkulation zugeschrieben. Zur Wundspülung eignen sich am besten sterile isotone Lösungen (z. B. NaCl 0,9 %, Ringerlösung). Aufgrund allgemeiner Überlegungen (Hygieneanforderungen RKI, Einbringung von Bakterien in die Wunde) ist in Deutschland der Einsatz von Leitungswasser zur Wundspülung nur mit einem Sterilfilter zu empfehlen. Weiterhin sind Spülungen mit konservierten Lösungen (meist niedrig dosierte Antiseptika) oder als Antiseptikum klassifizierte Wundspüllösungen möglich.
Der entscheidende heilungsfördernde Faktor der Wundspülung ist die physikalische Reinigung mit einer ausreichenden Menge Spülflüssigkeit. Antiseptika kommen nur bei kritischer Kolonisation oder Infektion zum Einsatz.
Konservierte Wundspüllösungen werden durch den niedrig dosierten Zusatz von Antiseptika haltbar gemacht und können nach Anbruch mehrere Tage bis Wochen zur Wundspülung eingesetzt werden. Diese Spüllösungen sind keine Arzneimittel und gelten als Medizinprodukte IIB mit rein physikalischer Wirkung.
4.1.1.3 Lokale Antiseptika
Jodhaltige Antiseptika haben ein breites Wirkspektrum. Sie wirken gegen gram-positive und gram-negative Bakterien (incl. MRSA/Pseudomonas). Sie sind außerdem wirksam gegen Hefen, Pilze und Viren. Die Wirkung tritt schnell ein (ca. 30 sec.). Die Gewebeverträglichkeit ist besser als die von Octenidin/Phenoxyethanol, jedoch schlechter als die von Polihexanid. Empfohlen wird der kurzfristige Einsatz (wenige Tage) bei akuten Infektionen oder stark verschmutzten Akutwunden.
Klassischer Einsatz: Als Salbe bei einem Infekt am Nagelfalz oder als Lösung am Rand einer trockenen Nekrose, die wegen nicht ausreichender Durchblutung (noch) nicht feucht behandelt werden soll. Die PVP-Jod-Lösung verhindert hier aufgrund der antiseptischen Substanzwirkung und gleichzeitig durch Austrocknung eine Sekundärinfektion.
Kontraindikationen: Hyperthyreose, Überempfindlichkeit gegen Jod, Anwendung vor oder nach Radiotherapie, Dermatitis herpetiformis Duhring.
Octenidin/Phenoxyethanol (OCT) wirkt ebenfalls sehr rasch (Einwirkzeit 1-2 Min.) und besitzt auch ein breites Wirkspektrum: Bakterien (einschließlich Chlamydien/Mycoplasmen), auch wirksam gegen Pilze, Hefen, Protozoen (Trichomonaden) und Viren. Im Vergleich mit PVP-Jod-haltigen Antiseptika und Polihexanid ist Octenidin/Phenoxyethanol am schlechtesten gewebeverträglich. Deswegen ist nur eine kurzfristige Anwendung empfohlen. Es ist nur zur oberflächlichen Anwendung bestimmt, ein Spülen tiefer Wundhöhlen unter Druck und eine Anwendung auf hyalinem Knorpel sind kontraindiziert
(https://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/Archiv/2011/20110127.pdf).
Polyhexamethylenbiguanid (PHMB) oder Polihexanid ist durch selektive Wirkung auf saure Lipide der bakteriellen Zellmembran sehr gut gewebeverträglich und nicht wundheilungshemmend. Polihexanid besitzt ein breites Wirkspektrum, v. a. im gram-positiven Bereich, das auch Problemkeime wie MRSA einschließt. Die Substanz wirkt nicht gegen Viren und Sporen. Der Wirkeintritt ist verzögert, die Einwirkzeit beträgt 5–20 min. Wegen der guten Gewebeverträglichkeit ist Polihexanid für eine längere Anwendung geeignet.
Polihexanid wird als Mittel der Wahl bei kritisch kolonisierten oder infizierten chronischen Wunden empfohlen.
Hypochlorit (Natriumhypochlorit / hypochlorige Säure):
In den 1990er-Jahren galt die Verwendung des Antiseptikums hypochlorige Säure als obsolet. Nach Behebung des Stabilitätsproblems sind Produkte mit sehr geringer Konzentration als Wundspüllösungen eine gute Option.
Hypochlorit hat eine hohe Sofortwirkung mit raschem Wirkungseintritt nach wenigen Minuten und ist aufgrund des physiologischen Wirkmechanismus nicht zytotoxisch. Somit darf es z. B. auch als Peritonealspüllösung bei Peritonitis verwendet werden. Es fördert die Wundheilung, Kontraindikationen sind nicht bekannt.
Obsolete Substanzen sind z. B. Wasserstoffperoxid (H2O2), Farbstoffe und die lokale Applikation von Antibiotika, entbehrlich sind Silbersulfadiazin, Chlorhexidin.
Tab. 2: Verordnungsfähigkeit von Wundspüllösungen für Erwachsene
Produkt | Verordnungsfähigkeit nach Arzneimittel-Richtlinie |
apothekenpflichtige verschreibungsfreie Arzneimittel mit Zulassung zur Wundspülung | Bei schwerwiegenden Erkrankungen nach der Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie verordnungsfähig |
Medizinprodukte mit namentlicher Listung in Anlage V zur Arzneimittel-Richtlinie | Zur Wundbehandlung und zum Befeuchten von Tüchern und Verbänden nach der Anlage V der Arzneimittel-Richtlinie verordnungsfähig |
Medizinprodukte ohne Listung in Anlage V zur Arzneimittelrichtlinie (z.B. antiseptische Spüllösung) | Zukünftig könnten Produkte in die Anlage V der Arzneimittel-Richtlinie aufgenommen werden |
4.1.2 Passive periodische Wundreinigung
Passive periodische Wundreinigung beinhaltet die Anwendung von Wirksubstanzen und biologischen Wirkmechanismen, die als Teil des Verbandsregimes zur Wundreinigung beitragen. Sie kommt zum Einsatz, wenn die Autolyse hartnäckiger Beläge unterstützt werden soll, insbesondere wenn die Wunde zu trocken ist.
Enzymatische Wundreinigung: Hierbei kommen vorwiegend proteolytische körperfremde Enzyme zum Einsatz. Diese bewirken einen Abbau avitaler Bestandteile unter Schonung vitaler Strukturen durch zelleigene Proteaseninhibitoren. Die Wirkung ist langsam und unzuverlässig. Die Produkte wirken nur kurz und erfordern daher häufige Verbandswechsel. Sie sind z.T. wundheilungshemmend und können Allergien verursachen.
Osmotische Wundreinigung: Die osmotische Wirkung kommt über eine konzentrationsbedingte Provokation von Exsudat zustande. Das Exsudat und die Detritusbestandteile werden gebunden und können aus der Wunde entfernt werden. Bei dieser Methode ist ein besonders guter Wundrandschutz notwendig, um Reizungen und Mazeration durch das Wundexsudat zu vermeiden. Zudem ist die Behandlung oft schmerzhaft. Es kommen sowohl süße (z. B. medizinischer Honig) wie auch salzige Substanzen (z. B. hypertone Kochsalzlösung) zur Anwendung. Eine Überlegenheit gegenüber der Anwendung von Hydrogelen konnte bisher nicht gezeigt werden.
Tab. 3: Verordnungsfähigkeit von Mitteln zur passiven periodischen Wundreinigung
Produkt | Verordnungsfähigkeit nach Arzneimittel-Richtlinie |
Enzymatische Wundreinigungsprodukte | Verschreibungspflichtige Produkte sind zwar verordnungsfähig, die Wirtschaftlichkeit ist wegen unzureichender Evidenz fraglich. |
Hypertone Kochsalzlösung | Nur verordnungsfähig, wenn als Medizinprodukt (als sonstiges Produkt zur Wundbehandlung) auf Anlage V der AM-RL aufgeführt. |