Medikamentöse Therapie

Im Fall eines Arzneimitteleinsatzes sind Art, Dauer und Ergebnis einer Antidementivatherapie zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere aufgrund der Verordnungseinschränkung für Antidementiva nach Ziffer 10 der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses.

Acetylcholinesterasehemmstoffe  (AChE-Inhibitoren)
Bei leichten bis mittelschweren Formen der Alzheimer Demenz sind die AChE-Inhibitoren zugelassene Therapieoptionen. Für die Verbesserung der alltagspraktischen Fähigkeiten unter der Therapie mit Acetylcholinesterasehemmstoffe (Galantamin, Donepezil, Rivastigmin) ist die Beweislage nicht eindeutig. Es finden sich lediglich Hinweise dafür, dass die Alltagsfähigkeiten durch die Substanzen positiv beeinflusst werden, die Effektstärke ist allerdings gering. 

Für keinen der Wirkstoffe dieser Gruppe ist ein relevanter klinischer Vorteil gegenüber den restlichen Vertretern der Gruppe nachgewiesen.  
Als unerwünschte Wirkungen der AChE-Inhibitoren treten vor allem Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, Schwindel und Durchfall in Erscheinung. Diese Nebenwirkungen sind oft vorübergehend und ggf. durch eine langsamere Aufdosierung oder Einnahme der Medikation zum Essen zu vermeiden.

Der Wirkstoff Rivastigmin ist als transdermale Applikationsform verfügbar. Es liegen keine ausreichenden Belege dafür vor, dass die Pflasterzubereitung wenigstens so gut wirkt wie die oralen Mittel oder gar einen Zusatznutzen besitzt. Auch eine bessere Verträglichkeit gegenüber den oralen Mitteln ist nicht nachgewiesen. Es treten zwar weniger gastrointestinale Beschwerden auf, die Pflasterzubereitung verursacht aber häufiger Hautirritationen.

Memantin
Memantin besitzt eine Zulassung zur Behandlung einer mittelschweren bis schweren Alzheimer-Demenz. Eine Zulassung für leichte Demenz besteht nicht.
Es liegen keine valide Studien vor, die Mematin gegenüber anderen medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapieoptionen bei der mittelschweren bis schweren Alzheimer-Demenz untersuchen.
Die bislang vorliegenden Daten liefern einen Beleg, dass Memantin den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit etwas verzögert. Bei Einnahme des Mittels über 6 Monate war das etwa bei 1 von 10 Behandelten der Fall. Hinsichtlich der Auswirkungen auf alltagspraktische Fähigkeiten liefern die derzeit vorliegenden Daten lediglich einen Hinweis, dass Memantin den Abbau von Fähigkeiten wie Zähneputzen, Anziehen und Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr geringfügig verzögern kann.

Es fehlen Studien die Daten zu Auswirkungen auf die Lebensqualität, die Zeit bis zur Pflegebedürftigkeit oder der Sterblichkeit bei Patienten mit moderater Alzheimer-Demenz liefern.

Eine Kombinationstherapie aus Memantin und AChE-Inhibitoren hat keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber der alleinigen Gabe eines AChE-Inhibitors.

Die Daten zu unerwünschten Ereignissen einer Memantin-Therapie aus randomisierten Studien ergaben keinen Beleg für ein im Vergleich zu Placebo erhöhtes Schadenpotenzial. Da Langzeitstudien zu Memantin fehlen, beziehen sich die Aussagen zum Nebenwirkungsprofil auf einen Behandlungszeitraum von bis zu 6 Monaten. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahlen ist zudem keine Aussage zu seltenen unerwünschten Wirkungen oder zur Verträglichkeit bei Polymedikation möglich.

Standardisierte Ginkgo-biloba-Extrakte
Ginkgo-biloba-Extrakt ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung von hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes bei dementiellen Syndromen mit der Leitsymptomatik: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, depressive Verstimmung, Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerzen.
Zur primären Zielgruppe gehören Patienten mit dementiellem Syndrom bei primär degenerativer Demenz, vaskulärer Demenz und Mischformen aus beiden.

Für das Therapieziel „Aktivitäten des täglichen Lebens“ gibt es einen Beleg für einen Nutzen von Ginkgo biloba bei Verwendung einer hohen Dosis von 240 mg täglich. Für die Therapieziele „kognitive Fähigkeiten“ und „allgemeine psychopathologische Symptome“ gibt es bei einer Dosis von 240 mg täglich einen Hinweis auf einen Nutzen. Die Nutzenbewertung von Ginkgo biloba basiert allerdings auf sehr heterogenen Ergebnissen, daher kann zur Größe eines möglichen Effekts keine zusammenfassende Aussage getroffen werden.

Das Nebenwirkungsprofil des Extraktes ist nicht gut einschätzbar: In den Studien traten unter Ginkgo-biloba-Extrakt nicht mehr Nebenwirkungen auf als unter Plazebo, dennoch brachen mehr Teilnehmer aus der Verumgruppe die Studienmedikation wegen Nebenwirkungen ab.
Eine möglicherweise relevante Wechselwirkung mit blutverdünnenden Mitteln ist zu beachten. Eine gemeinsame Verabreichung sollte nur unter sorgfältiger Kontrolle geschehen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft empfiehlt eine eingehende Gerinnungsanamnese insbesondere bei gleichzeitiger Anwendung mit ASS.

Anmerkung: Als verschreibungsfreie Arzneimittel können Ginkgo-biloba-Extrakte nach der Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses nur ausnahmsweise zur Behandlung der Demenz zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, sofern sie ein Ginkgo-biloba-Blätter-Extrakt als Aceton-Wasser-Auszug, standardisiert  auf 240 mg Tagesdosis, enthalten. 


Nicht empfohlene, aber zugelassene Wirkstoffe
Dihydroergotoxin
Dihydroergotoxin (DET) ist ein Mutterkornabkömmling und zugelassen zur Behandlung des  hirnorganisches Psychosyndrom sowie demenzieller Erkrankungen (primar degenerative Demenz, Multiinfarktdemenz). Anfang 2014 wurden Dihydroergotoxin-haltigen Mittel einer erneuten Nutzen-Schadenbewertung durch die Europäische Zulassungsbehörde unterzogen. Als Ergebnis dieses Assessments wurden dem Mittel die Zulassung in diversen Indikationen entzogen, weil der Nutzen einer Dihydroergotoxin-Behandlung das damit verbundene Fibrose- und Ergotismus-Risiko in diesen Indikationen nicht übersteigt. Auf dem deutschen Arzneimittelmarkt steht nur noch ein Präparat mit dem Wirkstoff DET zur Verfügung. Aufgrund unzureichender Nutzenbelege wird eine Behandlung mit DET nicht empfohlen.

Nicergolin
Nicergolin ist zugelassen als unterstützende Therapie bei chronisch, hirnorganisch-bedingten Leistungsstörungen im Rahmen eines umfassendes Gesamtkonzeptes mit den Leitsymptomen: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, Denkstörungen, vorzeitige Ermüdbarkeit, Antriebs- und Motivationsmangel und Affektstörungen; hierzu zählen Patienten mit dementiellen Syndromen bei primär degenerativer, vaskulärer Demenz und Mischformen.
Es liegen nur wenige Studien älteren Datums zur Nutzenbewertung von Nicergolin vor. Die Evidenz für eine Wirksamkeit von Nicergolin bei Alzheimer-Demenz ist unzureichend. Eine Behandlung wird mit dem Wirkstoff nicht empfohlen. Als halbsynthetisches Mutterkornalkaloidderivat besitzt Nicergolin die hierfür typischen Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem (Blutdruckabfall, kreislaufbedingten Schwindelzuständen).

Nimodipin
Oral verabreichtes Nimodipin ist zugelassen zur Behandlung von hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen im Alter mit deutlichen Beschwerden wie Gedächtnisstörungen, Antriebsstörungen und Konzentrationsstörungen sowie Stimmungslabilität. Die Evidenz für eine Wirksamkeit von Nimodipin bei Alzheimer-Demenz ist unzureichend. Eine Behandlung wird nicht empfohlen.

Piracetam
Piracetam  ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung von chronischen hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes bei dementiellen Syndromen mit der Leitsymptomatik: Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, Denkstörungen, vorzeitige Ermüdbarkeit und Antriebs- und Motivationsmangel, Affektstörungen. Zur primären Zielgruppe gehören Patienten mit dementiellem Syndrom bei primär degenerative Demenz, Multiinfarktdemenz und Mischformen aus beiden.
Zu Piracetam finden sich nur ältere, methodisch unzureichende Studien, die den heutigen Ansprüchen nicht genügen. Zwar ergeben sich Hinweise auf eine Verbesserung des klinischen Gesamteindrucks, die Daten lassen aber keine Nutzenaussage zu spezifischeren Zielgrößen zu. Die Evidenz für einen Nutzen von Piracetam bei Alzheimer-Demenz ist unzureichend. Eine Behandlung wird nicht empfohlen.

Sonstige Therapieoptionen und Begleittherapien
Es fehlen Belege für eine therapeutische Wirksamkeit beim Einsatz von Statinen, Vitamin E, Nichtsteroidalen Antirheumatika, Sexualhormonen, sowie Lecithin. Keiner der vorgenannten Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen ist für die Behandlung einer Alzheimer-Demenz zugelassen. Der Einsatz dieser Wirkstoffe würde daher ein Off-Label-Use darstellen. Eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht nicht.

Der routinemäßige wie auch der dauerhafte Einsatz von Antidepressiva oder Neuroleptika zur Behandlung von Unruhe, Aggression, Agitation und Psychosen im Rahmen einer Demenz ist aufgrund unklarer Nutzen-Schaden-Bilanz abzulehnen:
Risperidon ist zugelassen zur Kurzzeitbehandlung (bis zu 6 Wochen) von anhaltender Aggression bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimer-Demenz, die auf nicht-pharmakologische Methoden nicht ansprechen und wenn ein Risiko für Eigen- und Fremdgefährdung besteht. Die Ergebnisse aus systematischen Übersichten zeigen, dass Risperidon die Aggressivität bei Patienten mit Demenz wohl verbessern kann, dass aber das Risiko für schwere zerebrovaskuläre Ereignisse und für extrapyramidal-motorische Störungen erhöht ist. Im behandelten Patientenkollektiv steigt die Mortalität. Das Nutzen-Schaden-Verhältnis wird für einen routinemäßigen Einsatz des Mittels negativ beschrieben.
Viele weitere Neuroleptika sind für die Behandlung von Patienten mit Demenz-assoziierter Psychose und/oder Verhaltensstörungen im Zusammenhang mit einer Demenz nicht zugelassen. Die Anwendung in dieser speziellen Patientengruppe wird nicht empfohlen, da auch hier die Mortalität und das Risiko eines zerebrovaskulären Zwischenfalls erhöht ist.

Ist eine antipsychotische Behandlung aufgrund einer entsprechenden Komorbidität erforderlich, sollte diese mit zugelassenen Wirkstoffen in möglichst geringer Dosierung und über einen möglichst kurzen Zeitraum erfolgen. Der Behandlungsverlauf muss engmaschig kontrolliert werden. Insbesondere mögliche anticholinerge Partialwirkungen der verfügbaren Antipsychotika sind bei der Präparateauswahl zu beachten. Für Patienten mit Parkinson-Demenz, Lewy-Körper-Demenz und verwandten Erkrankungen sind klassische und viele atypische Neuroleptika kontraindiziert, da sie Parkinson-Symptome verstärken und Somnolenzattacken auslösen können.
Ein Cochrane Review kommt zu dem Schluss, dass auch eine chronische Neuroleptikagabe bei Personen mit Alzheimer Demenz und leichterer neuropsychiatrischer Symptomatik ausgeschlichen werden kann, ohne dass dies Auswirkungen auf ihr Verhalten hat.

Antidepressiva besitzen keine Zulassung zur Behandlung von Unruhezuständen bei Demenzpatienten. Es handelt sich hierbei um einen Off-Label-Use, welcher nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt. Besteht eine Depression neben der Demenz, so sind Antidepressiva selbstverständlich zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.

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